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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 43/2023
Aus der Heimatgeschichte
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„Ein Wunder, dass nicht jeder wahnsinnig wird“

Am 22. Oktober 1943, also vor nunmehr 80 Jahren, veröffentlichte „Die Zeitung – Londoner deutsches Wochenblatt“ den Bericht eines Luxemburgers, der mehrere Monate im KZ Hinzert verbracht hatte.

(Fortsetzung aus RuH Nr.42/2023)

„Aussenkommando“

„Für das Aussenkommando war um ½ 4 Uhr morgens Wecken und Appell vor dem Anziehen. Ich muss erwähnen, dass es in Hintzert keine Namen gibt, sondern nur Nummern. Nach dem Appell war Brausebad und Anziehen. Dann wurden die Betten gemacht. Wir schliefen auf Strohmatratzen mit einer einzigen Decke. Die Matratzen waren aus einer Art Papier mit Stroh, das während meines monatelangen Aufenthalts niemals gewechselt wurde. Wenn die SS fand, dass das Bett nicht nach ihrem Geschmack gemacht war, bekam man nichts zu essen. Nach der Säuberung des Raums war nochmals Appell, dann Frühstück. Das ist eine der zwei Mahlzeiten, bei denen man am Tisch sitzt. Es besteht aus gefärbtem Wasser und einem halben Pfund Brot, der Tagesration. Das Brot ist so schwer, dass das Stück sehr klein ist. Es gab auch ein Stückchen Margarine, das einzige Fett, das wir erhielten. Wir hoben es für die Kranken auf.

Unter starker Bewachung wurde das Aussenkommando nach der Station Reinsfeld gehetzt. Wer nicht schnell genug marschierte, bekam Peitschenhiebe. Eine Gruppe wurde mit der Eisenbahn nach Saarburg befördert, wo sie um sieben Uhr mit Entwässerungsarbeiten begann. Um zwölf ist Mittagspause. Jeder erhält einen Teller Wassersuppe mit etwas Grünzeug - kein Brot -, und muss im Stehen essen. Dann geht die Arbeit ohne die geringste Pause bis sechs Uhr weiter. Ein Gefangener, dessen Arbeit die Willkür der SS nach Gutdünken nicht befriedigt, muss nach der Rückkehr zwei Stunden oder noch mehr auf dem Hof stehen, die Hände auf dem Rücken gebunden. Unnötig zu sagen, dass er ausser dem geprügelt wird und am Abend kein Essen erhält. Das Aussenkommando kommt gegen acht Uhr ins Lager zurück, oft bis auf die Haut durchnässt, aber die Männer müssen dieselben nassen Kleider am nächsten Tag wieder anziehen. Am Abend besteht die Mahlzeit aus einem Teller Suppe gleicher Art wie am Mittag.

„Transportkommando“

Das Transportkommando wird um ½ 5 geweckt. Seine Arbeit besteht darin, einen Lastwagen mit Steinen vom Lager nach dem Bahnhof zu ziehen, ein Weg von etwa vier Kilometern. Jeder Wagen wird von 21 Mann gezogen. Sie müssen den Weg zweimal am Vormittag und zweimal am Nachmittag machen.

Das „Innenkommando“

besteht aus den „schweren Fällen“, deren Flucht befürchtet wird. Sie haben daher innerhalb des Lagers zu arbeiten. Ich gehörte zu dieser Kategorie. Von acht bis zehn Uhr abends ist Ruhe, d.h. wir durften miteinander sprechen, was während des Tages verboten war. Die Nahrung ist stets die gleiche ausser am Sonntag, wo die Abendmahlzeit - ausfällt, damit die Wachmannschaften sich ausruhen können. Während fünf Monaten erhielten wir dreimal Hackfleisch, von Kühen, die an Altersschwäche eingegangen waren. Zu Weihnachten durften wir als besondere Gnade ein kleines Paket bekommen, aber alle Pakete wurden geöffnet und wir erhielten nur wenig davon. Unsere Peiniger teilten untereinander, was sie gestohlen hatten, und da sie sich über die Verteilung nicht einigen konnten, kämpften sie darum wie wilde Hunde.

In dieser Hölle lebt jedermann in einem Zustand ständiger Hochspannung und Angst, denn niemand weiss, was von einem Monat zum andern zu erwarten ist. Es ist ein Wunder, dass nicht jeder wahnsinnig wird. Die Mehrzahl ist krank, aber um krank-geschrieben zu werden, muss man 40 Grad Fieber haben. Auch die Kranken sind vom Wecken, vom Appell und den anderen Vorschriften nicht ausgenommen. Wenn jemand beim Appell zusammenbricht, wird er mitkaltem Wasser übergossen, bis er aufsteht. Es gibt niemand, dessen Körper nicht mit Wunden übersät ist und die Mehrzahl der Gefangenen leidet an Gedächtnisschwäche als Folge des Auspeitschens.

Alles was ich sage, gibt nur einen schwachen Eindruck von dem Leben in Hintzert, wenn es überhaupt Leben genannt werden kann. Nur wer dort war, kann das verstehen. Es gibt Gefangene, deren einziges Verbrechen war, dass sie sich als Luxemburger bekannt haben und Luxemburger bleiben wollen. Andere sind dort, weil man bei ihnen ein Bild der Grossherzogin gefunden hat. Fast alle sind ihrer Überzeugung treugeblieben. Die Hoffnung allein hält sie aufrecht.

Ich will meiner Schilderung nichts hinzufügen. Meine Leser in der freien Welt mögen darüber nachdenken.“