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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 43/2024
Aus dem Gerichtssaal
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Vorsicht vor dem Nachbarn

Unter den Schildern mit mehr oder weniger lustigen Sprüchen, die man sich an den Zaun hängen kann, gibt es auch eines, auf dem steht: „Der Hund ist harmlos. Vorsicht vor dem Nachbarn“. An diesen Spruch muss ich an diesem Tag im Gerichtssaal denken.

Ein 30-Jähriger aus einem Hochwalddorf wird beschuldigt, dass er über einen längeren Zeitraum „in mindestens 21 Fällen, die im Einzelnen nicht mehr feststellbar sind“ (so die Staatsanwältin bei Verlesung der Anklage), ohne Führerschein gefahren sein soll. Der ist ihm schon vor einigen Jahren im Anschluss an eine Fahrt unter Alkohol und Betäubungsmitteln entzogen worden; sein ausländischer Führerschein ist - gerichtlich bestätigt - in Deutschland nicht gültig. Davon weiß er aber angeblich nichts, weil er zu der Zeit in einer WG gelebt und angeblich die Post nicht bekommen hat, worauf Richterin Buchenberger meint: „Das erscheint mir ziemlich unwahrscheinlich.“ Zweimal ist der Mann einschlägig vorbestraft und jedes Mal noch mit Geldstrafen davongekommen.

Nun ist er erneut zweimal von der Polizei erwischt worden, einmal hat die Blutprobe auch wieder Betäubungsmittel ergeben. „Nur einmal“, so sagt der Angeklagte, ist er „bewusst gefahren“. Da habe es bei der Tochter seiner Lebensgefährtin einen medizinischen Notfall gegeben. Aber eine Nachbarin hat ihn bei der Polizei angezeigt und erklärt, dass er regelmäßig ohne Führerschein fährt. Woher sie weiß, dass der Angeklagte keinen Führerschein hat, will die Richterin von der älteren Dame im Zeugenstand wissen. Das hat die Tochter seiner Lebensgefährtin einem Nachbarsjungen erzählt und sie weiß es von dessen Vater, sagt sie. Dann berichtet sie frei heraus, dass sie ihn jeden Morgen beobachtet hat, wie er die Tochter zur Arbeit gefahren hat. „Ich wollte wissen, ob er fährt oder nicht, und er ist immer gefahren, dafür gibt es noch mehr Zeugen“, erklärt sie. Der Angeklagte will bei ihrem Bericht mehrmals eingreifen, doch Richterin Buchenberger lässt ihn nicht zu Wort kommen. Beim dritten Mal platzt ihr der Kragen: „Ich habe Ihnen zweimal gesagt, dass Sie später etwas sagen dürfen! Jetzt ist Ruhe, sonst gibts ein Ordnungsgeld.“

Das Verhältnis zum Angeklagten sei nicht gut, erklärt die Zeugin noch auf Frage des Gerichts, ebenso wie eine weitere Nachbarin: „Der ist halt immer sehr provokativ“, begründet diese. Sie ist die Mutter des erwähnten Nachbarsjungen und bestätigt, dass der Angeklagte „ständig“ mit dem Auto gefahren ist, seit er in der Nachbarschaft wohnt. Bis sie erfahren habe, dass er keinen Führerschein hat, habe sie sich nichts dabei gedacht.

Die Staatsanwältin wertet die angebliche Unwissenheit des Angeklagten als Schutzbehauptung. Er habe „natürlich gewusst“, dass er keine Fahrerlaubnis habe und nicht fahren dürfe. Die Anklage sei von zweimal die Woche ausgegangen, tatsächlich sei er wohl deutlich öfter gefahren. Dass er eine Fahrt zugegeben habe, wertet die Anklägerin großzügig als Teilgeständnis, doch dem stehen die einschlägigen Vorstrafen und die zahlreichen neuen Taten in engem zeitlichem Zusammenhang gegenüber. Und weil die Geldstrafen den Angeklagten offenbar nicht sonderlich beeindruckt haben, beantragt sie nun eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten. Da der Mann in geregelten Verhältnissen lebe und es für ihn die erste Freiheitsstrafe sei, könne diese zur Bewährung ausgesetzt werden. Wollte er die erste Zeugin noch ständig unterbrechen, findet der Angeklagte jetzt keine Worte mehr. Er macht sichtlich den Eindruck erkannt zu haben, dass er im Hinblick auf die Aussagen der Zeuginnen kaum eine Chance hat, „aus der Nummer rauszukommen“.

Richterin Buchenberger bestätigt im Urteil die sechsmonatige Freiheitsstrafe und setzt die Bewährungsfrist auf zwei Jahre fest. Ein Bewährungshelfer soll ihn in dieser Zeit unterstützen. Zusätzlich macht sie ihm die Auflage, sechs Monate gemeinnützige Arbeit zu verrichten (er geht zurzeit keiner Beschäftigung nach). Auch nimmt ihm die angebliche Unwissenheit nicht ab. Ihr Urteil beruht zu seinen Gunsten auf „nur“ 30 Fahrten ohne Fahrerlaubnis. Sie erklärt ihm auch, dass es bei der Gesamtfreiheitsstrafe „sozusagen einen Mengenrabatt“ gegeben habe, denn für einen einzelnen Fall würden normalerweise drei Monate verhängt. Abschließend belehrt sie ihn ausführlich und eindringlich darüber, die Bewährungsauflagen einzuhalten. Er müsse sich in diesen zwei Jahren straffrei verhalten und mit dem Bewährungshelfer zusammenarbeiten. Ein Verstoß könne zum Widerruf der Bewährung führen mit der Folge, dass er die Gefängnisstrafe antreten müsste. Da sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwältin auf ein Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten, wird es sofort rechtskräftig. (WIL-)