Irgendwo in Hermeskeil geraten sich zwei Männer nach reichlich Alkoholgenuss in die Wolle. Angeblich hat der eine - ein Deutscher mit osteuropäischen Wurzeln - den anderen - einen Osteuropäer, der noch nicht allzu lange in Deutschland lebt - mit ausländerfeindlichen Worten beleidigt, woraufhin dieser ihm eine Kappe vom Kopf gerissen und gegen den Oberkörper getreten haben soll. Die Folgen: Eine Rötung am Brustkorb, eine ärztlich festgestellte Prellung, eine Krankschreibung für drei Tage und eine Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung.
Rein zufällig ist in der Tatnacht wohl eine Polizeistreife in der Nähe gewesen, bei der das Opfer Anzeige erstattet. Der mutmaßliche Täter, der nicht besonders gut Deutsch spricht, lässt die Aufnahme seiner Personalien und die üblichen Fragen der Polizei gelassen über sich ergehen, die Verständigung ist schwierig gewesen. Im Gerichtssaal übersetzt eine Dolmetscherin. Ja, es habe ein Wortgefecht gegeben, aber „kein hitziges“, lässt der Angeklagte durch seinen Verteidiger vortragen. Aber er habe den anderen weder geschubst noch geschlagen geschweige denn getreten. Wenn er sich etwas vorzuwerfen gehabt hätte, wäre er ja wohl nicht dort geblieben, sondern weggelaufen. Von der Anklage sei sein Mandant „sehr überrascht“ gewesen, sagt sein Anwalt. Was im Einzelnen passiert sein soll, weiß der Angeklagte aber heute auch nicht mehr.
Das Opfer erinnert sich dagegen wohl noch sehr genau daran, wie der Mann ihm die Kappe vom Kopf geschlagen hat. „Er hat gegrölt, ich habe zurückgegrölt, dann hat er mich getreten“, behauptet er. Ein Freund des Mannes habe diesen zurückhalten wollen, aber der habe unter dem Arm des Freundes hindurch getreten. Ob er den anderen ausländerfeindlich beleidigt habe, will der Staatsanwalt wissen. Fast schon amüsiert verneint der Zeuge: „Meine Eltern kommen doch auch aus Osteuropa.“ Der Verteidiger bohrt ein wenig nach Einzelheiten, doch der Mann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Bei dem zweiten Zeugen, dem Freund des Angeklagten, hat die Dolmetscherin viel zu tun, denn er kann die deutsche Sprache noch weniger. Er trägt, wie Staatsanwalt und Richterin Buchenberger später sagen werden, auch nicht allzu viel zur Aufklärung der Sache bei. Nach seinen Angaben hat es nur ein Wortgefecht, aber keinen körperlichen Kontakt zwischen den Streithähnen gegeben. An mehr kann er sich nicht erinnern. Ob er auch getrunken habe, will die Richterin wissen, und der Zeuge antwortet wörtlich - jedenfalls übersetzt es die Dolmetscherin so: „Ja, aber es kann nicht zu viel gewesen sein, ich konnte noch auf den Beinen stehen.“
Als letzter Zeuge wird einer der Streifenpolizisten befragt, der die Sache aufgenommen hat. Er berichtet, dass die Beteiligten betrunken und übermüdet gewesen seien. Es sei „ein typisches Zusammentreffen übernächtigter Personen“ gewesen, keine aggressive Situation. Auch der Angeklagte habe ganz ruhig da gestanden. Der obligatorische Alkoholtest habe eigentlich weniger ergeben als erwartet. „Ich hatte Zweifel an der Sache“, sagt der Polizeibeamte wörtlich. Der Angeklagte habe Stoffschuhe mit Gummisohlen getragen. In seinem Bericht steht, es sei fraglich, ob er überhaupt noch in der Lage gewesen sei, einen gezielten Tritt auszuführen.
Vorbestraft ist der Angeklagte nicht, erklärt Richterin Buchenberger. Sie habe Probleme mit einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, sagt sie an den Staatsanwalt gewandt und berichtet, das Opfer habe seinen Strafantrag zurückgenommen und in einer Email geschrieben, dass er kein Interesse an der Strafverfolgung habe.
In seinem Plädoyer sieht der Ankläger den Sachverhalt durch die Beweisaufnahme bestätigt. Der Freund des Angeklagten sei als Zeuge „wenig brauchbar“ gewesen, wogegen das Opfer die Sache sehr detailliert geschildert habe. Die bestreitende Einlassung des Mannes sei eine Schutzbehauptung. Den Wink der Richterin hat er verstanden und lässt den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung fallen. Wegen einer vorsätzlich einfachen Körperverletzung beantragt er eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen für den Angeklagten.
Der Verteidiger bezeichnet dagegen die Beweislage als „sehr dünn“ und den Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung als „abenteuerlich“. Er zählt eine Reihe von Gründen auf, die dagegen sprechen, dass sich die Tat so ereignet haben soll. Es gebe dafür keinerlei Nachweise. Die Rötung und die Prellung habe sich der Mann auch zum Beispiel „beim Rausgehen am Türgriff“ holen können. „Der Angeklagte ist gar nicht überführt“, schließt er und beantragt nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ einen Freispruch.
Doch auch aus der Sicht von Richterin Buchenberger ist die Sache nachgewiesen. Sie verurteilt den Angeklagten zu 50 Tagessätzen und sieht keinen Grund, weshalb das Opfer den Mann grundlos beschuldigt haben sollte. Sie habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Zeuge, der ja auch die Anzeige zurückgenommen habe, die Sache besonders dramatisch habe darstellen wollen. Die Aussagen des Freundes des Angeklagten, der sich nicht an viel erinnern könne, seien dagegen nur sehr vage gewesen.