Der Mann hatte ein massives Alkoholproblem: Zwei bis drei Flaschen Wein hat er zum Schluss täglich getrunken, sagt er. Bis er eines Tages schlagartig aus dieser Situation heraus katapultiert wird, durch ein Ereignis, weswegen er nun auf der Anklagebank sitzt. Man wirft ihm eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt vor, obwohl er nicht mit Alkohol am Steuer erwischt worden ist.
Was ist passiert?
An einem Samstag im August letzten Jahres arbeitet er im häuslichen Büro noch an einer dringenden Sache, die er montags im Betrieb abliefern muss; seine erwachsene Tochter, die übers Wochenende da ist, unterstützt ihn dabei. Auf einmal kommt die Ehefrau mit zwei leeren Weinflaschen herein, die sie in seinem Zimmer beim Lüften gefunden hat. Sie ist „not amused“, denn es war vereinbart, dass er zuhause nichts mehr trinkt. Für sie ist jetzt Schluss und sie fordert ihn auf zu verschwinden. Was also tun? Die Arbeit muss am Montagmorgen abgegeben werden. Im Büro im Betrieb hat er eine Couch, da kann er zur Not schlafen. Also fährt er dorthin, aber nicht ohne einen Umweg zu einem Geldautomaten und einem Supermarkt, wo er vier Flaschen Wein kauft. „Wegen meiner Schlafprobleme habe ich Alkohol gebraucht“, erklärt er. Im Büro angekommen, leert er als Erstes eine ganze Flasche Wein in einer halben Stunde; danach ist er ruhiger und fängt wieder mit der Arbeit an. Dabei trinkt er auch schon einen Teil aus der zweiten Flasche, wie er erklärt, und fügt hinzu: „Ich bin nicht stolz auf das, was ich hier erzähle.“
Plötzlich erscheint die Polizei an der Tür. Ihm wird vorgeworfen, dass er alkoholisiert gefahren sei. Die Ehefrau hat sich bei der Polizei gemeldet, weil sie sich Sorgen gemacht hat. Er bestreitet den Vorwurf, sagt, er sei nüchtern zum Betrieb gefahren und habe erst dort getrunken. Um unnötige Verzögerungen zu vermeiden, ist er kooperativ, stimmt einem Atemalkoholtest zu, denn er ist sich nach seiner Aussage keiner Schuld bewusst. Der Test ergibt mehr als 1,5 Promille und er ist auch mit einer Blutprobe einverstanden. Die erste ergibt fast 2 Promille; nach einer halben Stunde sind es noch 1,74. Dennoch hat der Mann, wie der Polizist auf Frage von Richterin Buchenberger im Zeugenstand erklärt, keine Ausfallerscheinungen. „Er konnte gerade gehen und hat akzentuiert gesprochen“, erinnert sich der Beamte. Der Mann muss seinen Führerschein abgeben, die Fahrerlaubnis wird vorläufig entzogen. Die Nacht und den Sonntag verbringt er bei seinen Eltern, wo er auf dem Notebook seine Arbeit fertigstellt.
Der Angeklagte bleibt bis zum Schluss bei seiner Version, auch nachdem Dr. Thomas Kaufmann, stellvertretender Leiter der Untersuchungsstelle für Blutalkohol der Uni Mainz, ausführlich über seine Untersuchungen berichtet hat, bei denen er zu dem Schluss gekommen ist, dass sie nicht stimmen kann. Wenn jemand in so kurzer Zeit von 0,0 auf 2 Promille komme, gebe es auch bei einer durch Alkoholmissbrauch hervorgerufenen überdurchschnittlichen Alkoholtoleranz ganz extreme Ausfallerscheinungen. Im Blut des Angeklagten hätten sich auch teils hohe Konzentrationen von sogenannten Begleitalkoholen gefunden, die in Wein überhaupt nicht enthalten seien. Der Mann müsse also an diesem Tag schon vorher etwas anderes getrunken haben. Es komme „auf keinen Fall in Betracht“, dass zum Zeitpunkt der Fahrt zum Betrieb keine Alkoholisierung vorgelegen habe. Diese sei nach den Berechnungen deutlich oberhalb von 0,5 Promille, unter Berücksichtigung des Nachtrunks aber nicht zwingend über 1,1 Promille gewesen, erklärt Dr. Kaufmann auf Nachfrage der Richterin und wiederholt: „Mehr als 1,1 Promille sind zwar sehr wahrscheinlich, aber eben nicht zwingend.“
Für die Staatsanwältin steht fest, dass der Angeklagte bei der Fahrt zum Betrieb mit mehr als 1,1 Promille absolut fahruntüchtig gewesen ist. Sie fordert wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 80 Euro sowie den Entzug der Fahrerlaubnis mit einer weiteren Sperre von drei Monaten. Der Verteidiger fordert dagegen anknüpfend an die Aussage des Gutachters Freispruch. Der Sachverständige gehe zwar davon aus, dass sein Mandant noch andere alkoholische Getränke an diesem Tag zu sich genommen haben müsse, habe aber auch dargelegt, dass die maßgebliche Grenze für die absolute Fahruntüchtigkeit nicht zwingend überschritten gewesen sei. Der Angeklagte bleibt auch in seinem letzten Wort bei seiner Behauptung, außer Wein nichts getrunken zu haben. Er könne das alles nicht nachvollziehen, sagt er.
Das Gericht entscheidet auf Freispruch. Richterin Buchenberger schließt sich, wie sie in der Begründung sagt, zwar der Staatsanwältin in so gut wie allen Punkten an, geht aber in der rechtlichen Würdigung nicht mit ihr konform. Die Angaben des Angeklagten seien nach dem Gutachten alle nicht plausibel; der Mann könne auch nicht nüchtern gewesen sein, als er die Fahrt zum Betrieb angetreten habe: „Mehr als 0,5 Promille hatten Sie auf jeden Fall“, sagt sie zu dem Mann. Aber noch mehr, vor allem mehr als 1,1 Promille, könnten halt nicht nachgewiesen werden. So bliebe noch eine Ordnungswidrigkeit, die aber nicht im Strafverfahren verfolgt werden könne.
Zu erwähnen bleibt noch, dass der Angeklagte, der das Urteil naturgemäß annimmt, seit dem Vorfall an einer Therapie und an Kursen teilgenommen hat. Auch das kommt ihm bei der Urteilsfindung wahrscheinlich zugute. Und so kann er am Ende aus den Händen von Richterin Buchenberger seinen Führerschein entgegennehmen.