Die Art und Weise, wie er in den Gerichtssaal kommt, lässt erwarten, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Schwerkriminellen handelt. Mehrere Polizeibeamte führen ihn in Handschellen vor. Doch wie sich herausstellen soll, handelt es sich nur um einen ehemaligen Bewohner der AfA Hermeskeil, der beim ersten Mal ohne Entschuldigung nicht erschienen und nun – er lebt jetzt in einer anderen Einrichtung bei Bad Kreuznach – von der Polizei am frühen Morgen abgeholt und nach Hermeskeil gebracht worden ist.
Man wirft ihm vor, Anfang des Jahres in der AfA einen Mitbewohner im Streit verletzt zu haben. Außerdem soll er danach auf einen Mitarbeiter der Security losgegangen sein, ihn geschlagen und bedroht haben.
Doch der schmächtige Mann macht eigentlich gar keinen gewalttätigen Eindruck. Er berichtet über seinen Dolmetscher, er habe sich mit sieben weiteren Männern ein Zimmer geteilt und der betreffende Mitbewohner habe „eigentlich immer Streit gesucht“, sei ein streitsüchtiger Mensch. Der habe auch über ihn – den Angeklagten - „schlecht geredet“, worüber er sich geärgert und den anderen zur Rede gestellt habe. Dabei sei es zunächst zu einem verbalen Streit und schließlich einem Handgemenge gekommen. Der Angeklagte gibt offen zu: „Ich habe das Problem, dass ich ziemlich aggressiv werde, wenn ich wütend bin; darunter leide ich.“ Aber er habe den anderen nur am Kinn gepackt, um ihn abzuwehren. Andere Mitbewohner hätten die Streithähne dann getrennt. Dem Mann von der Security habe er nichts getan. Der habe ihn an den Füßen fixieren wollen, wobei sie beide zu Boden gegangen seien, weil er sich gewehrt („Ich habe gewimmelt“) habe. Der Wachmann habe sich – wie er selbst auch – wohl bei dem Sturz verletzt. Angeblich hat er sich anschließend auf seinen Hals gekniet, aber an eine Bedrohung könne er sich nicht erinnern.
Der „geschädigte“ Mitbewohner ist zwar als Zeuge geladen, aber nicht erschienen. Es ist auch nicht bekannt, wo er sich zurzeit aufhält. Der Security-Mitarbeiter, ein ziemlich korpulenter, schwerer Mann, ist dagegen anwesend und schildert den Teil der Geschichte, an der er beteiligt gewesen ist. Auch er meint, dass es „eher ein Unfall“ gewesen ist, bei dem er sich an den Fingern und am Mund verletzt hat. Dass er das Knie am Hals des Angeklagten gehabt haben soll, bestreitet er aber vehement: „Mit meinem Gewicht auf dem seinem Hals? Um Gottes Willen!“ Das sei nicht seine Art, sagt er noch und ergänzt, er habe wohl beim Sturz quer über dem Mann gelegen. Der Wachmann weiß aber noch, dass der Angeklagte ihm gedroht hat - „I kill you“ oder so ähnlich soll er gesagt haben -, was er damals auch der Polizei gesagt habe.
„Was bleibt übrig?“ Diese Frage stellt Richterin Buchenberger schließlich in den Raum. Und der Vertreter der Anklage erklärt, dass die erste Körperverletzung, so sie denn überhaupt vorliege (der Angeklagte habe den anderen „nur gepackt“) höchstens als fahrlässig beurteilt werden könne. „Dafür würde man niemanden verurteilen“, sagt er. Die zweite Körperverletzung habe es wohl überhaupt nicht gegeben und was die Bedrohung angehe, sei der genaue Wortlaut unklar. Seinem Vorschlag, das Verfahren einzustellen, folgt das Gericht. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
Wie kommt der Mann jetzt nach Bad Kreuznach zurück? Die Polizeibeamten, die ihn am Morgen abgeholt und hergebracht haben, sind längst wieder weg. In der Aufregung hat er weder Papiere noch Geld eingesteckt. Die Richterin bemüht sich redlich darum, über die Geschäftsstelle eine Lösung zu finden. Sollte es dazu nicht kommen, soll er – wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft vorschlägt – zur AfA in Hermeskeil gehen. „Die müssen dann sehen, wie er zurück nach Bad Kreuznach kommt“, meint er.