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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 47/2022
Aus dem Gerichtssaal
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Jugendlicher Leichtsinn mit tödlichen Folgen

Gerade eine Stunde ist es her, dass er 18 geworden ist, da setzt er sich mit einem Freund in sein Auto und fährt es auf der Autobahn mal eben „bis zum Anschlag aus“. Das sind 230 Stundenkilometer, der Freund macht ein Foto vom Tacho und verbreitet es in einer Gruppe im Internet, der sie beide angehören. Doch an dieser zweifelhaften „Leistung“ wird er nur kurz Freude haben, denn nur zehn Tage später baut er mit dem für einen Fahranfänger eigentlich viel zu schnellen Auto einen Unfall mit schrecklichen Folgen: Sein gleichaltriger Beifahrer wird so schwer verletzt, dass er kurz darauf im Krankenhaus verstirbt. Er selbst kommt mit schweren, aber nicht lebensgefährlichen Verletzungen davon.

Angeklagt wegen fahrlässiger Tötung, sitzt er nun neben seiner Verteidigerin im Gerichtssaal den Eltern seines Freundes gegenüber, die als Nebenkläger durch einen Anwalt vertreten werden. Ein Kfz-Sachverständiger ist als Gutachter anwesend.

An den Unfall selbst kann der junge Mann sich nicht erinnern, lediglich „schleierhaft“ daran, wie ihn die Feuerwehr aus dem Wrack seines Autos herausgeschnitten hat. Man hat sich am Unfalltag, einem Sonntag im Sommer, zu dritt getroffen. Zwei, die in der Ausbildung zu einem Kfz-Beruf stehen und der später Verstorbene - alles Fans von „aufgemotzten“, schnellen Autos. Man will gemeinsam noch woanders hin fahren, um vielleicht etwas zu unternehmen und unterwegs auf der Landstraße ein paar Fotos von den Autos machen. Irgendwann gibt der Angeklagte Gas, überholt den anderen und verschwindet hinter einer Kurve aus dessen Sicht. Als er die Kurve erreicht, so dieser andere im Zeugenstand, sieht er das Fahrzeug des Angeklagten bzw. was davon übrig ist, im Wald und begreift sofort, was passiert ist. Er setzt einen Notruf ab und und packt mit anderen Ersthelfern, die fast gleichzeitig eintreffen, mit an, den Beifahrer, der nicht ansprechbar ist, aus dem total beschädigten Auto zu holen und in die stabile Seitenlage zu bringen. Der Fahrer ist eingeklemmt. Es dauert nicht lange, bis Polizei, Notarzt, Feuerwehr und zwei Rettungshubschrauber vor Ort sind.

Der Polizeibeamte berichtet von der dramatischen Situation. Der eingeklemmte Fahrer habe immer wieder geschrien: „Was ist mit ...?“ (Anm.: dem Beifahrer) und „Was bin ich für ein A...“ Ihn aus dem Wrack herauszuschneiden sei eine schwierige Angelegenheit gewesen. Ein Feuerwehrmann habe gesagt, er könne „nicht unterscheiden, wo das Auto aufhört und das Bein anfängt“. Auf die Frage von Richterin Buchenberger nach der vermutlichen Unfallursache erklärt der Polizist, dies sei den Spuren nach zu urteilen wohl überhöhte Geschwindigkeit gewesen. Der Angeklagte hat dem in seiner Vernehmung widersprochen.

Ausführlich legt der Gutachter das Ergebnis seiner Untersuchungen dar. Den am Unfallort aufgefundenen Spuren nach hat der Angeklagte in der Kurve bei einem Lenkmanöver, mit dem er das Ausbrechen des Fahrzeugs verhindern will, übersteuert und ist auf den Grünstreifen geraten. Das nochmalige Gegenlenken führt dazu, dass sich das Auto um die eigene Achse dreht und auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit zwei Bäumen kollidiert, von denen einer abknickt. Die Kurve könne mit 120 km/h sicher durchfahren werden, sagt der Sachverständige. Die Geschwindigkeit des Angeklagten habe nach seinen Berechnungen zwischen 114 und 130 km/h gelegen. Sie sei deshalb in Verbindung mit einer falschen Reaktion die wahrscheinlichste Unfallursache. Aus technischer Sicht spielten andere Faktoren keine Rolle. Die Straße sei an diesem sonnigen Tag sauber und trocken gewesen. Das Fahrzeug sei zwar durch den Einbau eines Gewindefahrwerks, das vom TÜV abgenommen war, „tiefergelegt“ gewesen; ob dieses richtig eingestellt gewesen sei, habe aber wegen der starken Beschädigung nicht mehr festgestellt werden können.

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe bescheinigt dem jungen Angeklagten einen völlig normalen Lebenslauf, sieht man einmal davon ab, dass die nicht verheirateten Eltern sich trennten, als er ein Jahr alt war. Er lebt bei der Mutter. Die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker kommt seinen Neigungen nahe und es gibt in deren Verlauf keine Beanstandungen. In seiner Freizeit bastelt er gerne an Fahrzeugen und ist in einer „autoaffinen Community“ tätig. Mit dem Unfall hat er sich ihrer Meinung nach bisher unzureichend auseinandergesetzt. Es gebe für ihn zwar keine Diskussion, dass er ihn verursacht habe. Auch habe er Schuldgefühle, aber bedingt durch Unsicherheit und Angst sei sein Verhalten zu dem Geschehen eher ausweichend. Sie plädiert für die Anwendung von Jugendstrafrecht und schlägt eine Verwarnung sowie die Auferlegung von Beratungsgesprächen und eines Fahrsicherheitstrainings vor. Eine eventuelle Geldbuße stellt sie ins Ermessen des Gerichts. Die Staatsanwältin folgt diesen Vorschlägen und fordert eine Buße von 1500 Euro sowie ein Fahrverbot von drei Monaten.

Die menschliche Tragödie des Unfalls lässt sich an den Worten des Rechtsanwalts, der die Nebenklage vertritt, ermessen. Die Folgen für die Eltern des Verstorbenen seien gravierend. Beide seien seit dem Unfall in ärztlicher Behandlung, der Vater seitdem arbeitsunfähig und habe seine Stelle verloren. „Derartige Verfahren können den Opfern nicht gerecht werden“, sagt er. Er hält zwar auch die Anwendung des Jugendstrafrechts für geboten, doch plädiert er für den Entzug der Fahrerlaubnis. „Pausieren allein passt nicht“, meint er, und an den Angeklagten gewandt: „Sie sind im Moment nicht geeignet, ein Fahrzeug zu führen!“ Die Verteidigerin wendet sich gegen den Entzug der Fahrerlaubnis, allein schon, weil der Angeklagte den Führerschein für die Fahrt zur Ausbildungsstätte braucht, die er mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht oder nur schwer erreichen kann.

Das Gericht verurteilt den jungen Mann zu einer Geldbuße von 1500 Euro, zu zahlen an die Deutsche Verkehrswacht, und vier Monaten Fahrverbot und erlegt im fünf Beratungsgespräche bei der Lebenshilfe sowie die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining auf eigene Kosten auf. „Der Unfall wäre vermeidbar gewesen“, ist Richterin Buchenberger sicher. Aus ihrer Sicht habe dem Angeklagten zu diesem Zeitpunkt die erforderliche Reife gefehlt. Mit der (zu) hohen Geschwindigkeit habe er vielleicht Freunde beeindrucken wollen. Das Fahrverbot sanktioniere dieses Verhalten des Mannes in der Vergangenheit. Vom Entzug der Fahrerlaubnis, der dagegen präventiv wirke, sehe sie ab. Man könne nicht eindeutig feststellen, wie sein Fahrverhalten heute sei. Konkrete Verstöße seien jedoch bisher nicht bekannt. Sie wünsche und hoffe allerdings, dass er in Zukunft vernünftiger fahren werde.