Titel Logo
Rund um Hermeskeil
Ausgabe 47/2023
Aus dem Gerichtssaal
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Vorsatz oder Versehen?

Die junge Frau auf der Anklagebank ist im Dezember letzten Jahres aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet, wo sie Asyl beantragt hat. Über den Antrag ist noch nicht entschieden. Sie spricht nur Persisch, weshalb das Gericht einen Dometscher bestellt hat. Man wirft ihr vor, in der Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende (AfA) in der ehemaligen Hochwaldkaserne einen fremden Ausweis benutzt zu haben. Dabei hat es sich um die Hauskarte der AfA gehandelt, die dort beim Betreten und Verlassen sowie bei anderen Gelegenheiten wie z.B. an der Kantine gescannt wird. Gegen einen Strafbefehl hat sie Einspruch eingelegt, weshalb es nun zur Hauptverhandlung kommt.

Die Frage von Richterin Buchenberger, ob der Vorwurf stimmt, verneint die Frau und erklärt, sie habe auf dem Weg entlang der Straße die Karte einer Zimmergenossin gefunden und diese zusammen mit ihrer eigenen in eine Klarsichthülle gesteckt, um sie der anderen zurückzugeben. Als sie ihre eigene Karte zum Einchecken benutzt habe, sei einer Frau an der Pforte die fremde Karte aufgefallen und man habe sie ihr abgenommen. Das Einzige, das sie verstanden habe, sei das Wort „Polizei“ gewesen. Ein paar Wochen später hat sie ein Schreiben der Polizei in arabischer Sprache erhalten, das sie sich übersetzen lassen musste. Bei dem folgenden Termin auf der Wache ist kein Dolmetscher dabei gewesen, der Beamte hat mit dem Handy übersetzt. Kurz arauf hat sie einen Strafbefehl über 150 € bekommen. Sie hat das alles nicht verstanden, sagt sie, und beteuert auch im Gerichtssaal noch einmal, dass sie die fremde Karte nicht benutzt hat. Das mache auch gar keinen Sinn, denn auf der Karte sei ein Lichtbild und die Andere sehe völlig anders aus als sie selbst. „Wenn ich gewusst hätte, dass es solche Probleme gibt, hätte ich die Karte liegenlassen“, meint sie.

Ein vom Gericht als Zeuge geladener Mitarbeiter der Security hat eine andere Erinnerung an den Vorfall. Er sagt, die Angeklagte habe ihm zuerst die fremde Karte hingehalten, worauf er sie „mit Händen und Füßen“ angesprochen habe. Sie habe ihm gesagt, die Zimmergenossin habe ihre Karte da gelassen. Es bleibt dabei offen, in welcher Sprache sie das gesagt haben soll; das Gericht fragt auch nicht danach. „Sowas kommt öfter vor“, erklärt der Mann. Manche Bewohner würden sich so schon mal ein zweites Frühstück holen. Die Angeklagte erinnert sich demgegenüber aber gar nicht daran, diesen Mann jemals gesehen zu haben.

Ob man einen persönlichen Vorteil habe, wenn man eine fremde Karte benutze, will die Staatsanwältin von dem Zeugen wissen, worauf der meint: „Eigentlich nicht.“ Die Anklägerin hat Bedenken, ob die Angeklagte vorsätzlich eine fremde Karte verwendet hat – „Vorsatz oder Versehen?“, fragt sie – und regt an, das Verfahren einzustellen. Weil damit auch die junge Frau einverstanden ist, fasst Richterin Buchenberger den entsprechenden Beschluss.

Nachsatz: „Haben die nichts Besseres zu tun?“, fragt der Dolmetscher den Verfasser dieses Berichts, als sie auf dem Weg zum Neuen Markt ein paar Schritte nebeneinander her gehen. Und er sagt, dass er absolut kein Verständnis dafür hat, wenn jemand wegen einer solchen Lappalie vor Gericht muss. (WIL-)