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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 47/2025
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Gedenken zum Volkstrauertag mal anders

Das Jugendtheater-Ensemble besteht aus derzeit 13 Jugendlichen aus dem Raum Hermeskeil und hat sich vor drei Monaten gegründet. "Die Welle" ist die erste Inszenierung.

Jugendtheatergruppe NOICE bringt „Die Welle“ in der Gedenkstätte Hinzert auf die Bühne

„Wie entsteht Faschismus?“ – dieser Frage widmete sich am Sonntag die neu gegründete Jugendtheatergruppe NOICE aus Hermeskeil mit ihrer Inszenierung von „Die Welle“ in der Gedenkstätte Hinzert. Passend zum Volkstrauertag bot die Aufführung des bekannten Jugendbuchs von Morton Rhue jenen Raum zur Reflexion, den dieser Gedenktag seit jeher anmahnt: über Verantwortung, Mitläufertum und die Zerbrechlichkeit demokratischer Werte.

Dreizehn Jugendliche aus der Region haben unter der Leitung von Matthias Leo Webel in den vergangenen drei Monaten intensiv an dem Stück gearbeitet – wöchentlich zwei Stunden, in den Herbstferien sogar täglich. Das Ergebnis: ein dicht inszeniertes, eindrucksvoll gespieltes Bühnenexperiment, bei dem mit wenigen Mitteln – Stühle, Licht, Musik – die Dynamik von Macht und Unterwerfung sichtbar wurde.

Die Aufführung war bereits Tage zuvor ausgebucht. 120 Besucherinnen und Besucher drängten am Sonntagvormittag in die Gedenkstätte, viele mussten abgewiesen werden. Nach der Vorstellung lud Dieter Burgard im Namen der Landeszentrale für politische Bildung und des Fördervereins der Gedenkstätte zum Gespräch ein – ein Angebot, das rege genutzt wurde.

Das Experiment

„Die Welle“ basiert auf einem realen Experiment eines amerikanischen Lehrers in den 1960er-Jahren, der seinen Schülern zeigen wollte, wie leicht autoritäre Strukturen entstehen. Als die Jugendlichen im Stück Parolen wie „Stärke durch Disziplin, Stärke durch Gemeinschaft“ skandierten, wurde es im Publikum spürbar still. Der Moment, in dem die Fiktion zur Warnung wird, war greifbar. Die Zuschauer erlebten, wie Begeisterung in Angst umschlagen kann, wenn aus Gemeinschaft blindes Gehorchen wird.

Das Ensemble überzeugte mit viel Ausdruck und Spielfreude. Besonders eindrücklich war neben der Performance von Lehrer Ben Ross die Entwicklung von Robin Billings von der einstigen Außenseiterin zur fanatischen Anhängerin der Welle. Eine zentrale Rolle spielte auch Laurie, die kritische Chefredakteurin der Schülerzeitung. Sie erkennt früh, dass die Bewegung gefährlich wird, und warnt öffentlich in einem Artikel vor der Welle. Ihre Kritik wird jedoch als Lüge abgetan – „Fake News“, würde man heute sagen. Lauries Ausgrenzung zeigte eindrücklich, wie schwer es ist, in einem Klima kollektiver Überzeugung Zweifel zu äußern.

Die Inszenierung endete mit der Konfrontation zwischen Lehrer Ben Ross und seiner Klasse, vor dem Bild Adolf Hitlers auf der Leinwand – ein Schockmoment, der die Brücke zur Realität des Gedenkortes Hinzert schlug. Der Applaus galt am Ende nicht nur der herausragenden schauspielerischen Leistung, sondern auch dem Mut, in einem historischen Erinnerungsort ein Thema aufzugreifen, das zugleich Vergangenheit und Gegenwart berührt.

Gefördert wurde das Projekt von „Demokratie leben!“, der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und dem Förderverein der Gedenkstätte Hinzert. Am Mittwoch wird das Stück noch einmal im Johanneshaus Hermeskeil für Schülerinnen und Schüler gezeigt. (LeWe)

Mitwirkende:

David: Martha Hewer; Robin: Johanna Schillo; Mrs Ross: Lea Stuhlträger; Janet Melissa Sellmann; Direktor Owens: Kai Deversi; Mr. Ross: Tobit Hewer; Laurie: Luna Michels; Amy: Elsa Perneder; Brianna: Annabell Malburg; Alex: Henri Bolden; Brad: Hannah Herbst; John: Jonas Schömer; Sarah: Kira Schuth

Kommentar

Wenn Geschichte Gegenwart spiegelt

Dass ausgerechnet am Volkstrauertag „Die Welle“ in der Gedenkstätte Hinzert aufgeführt wurde, wirkt wie eine bewusste, fast symbolische Setzung. Der Tag des Erinnerns an Krieg und Gewaltherrschaft ist längst mehr als nur Anlass zum Gedenken. Er fordert, die Mechanismen zu verstehen, die zu solchen Gewalten geführt haben – und sie im Heute zu erkennen.

„So etwas wird nie wieder passieren“, heißt es oft. Doch genau diese Gewissheit ist trügerisch. Die Welle mahnt, dass das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Ordnung und Orientierung tief im Menschen verankert ist – und dass es gefährlich wird, wenn daraus Gehorsam und Entmündigung entstehen.

Das Stück zeigt: Faschismus beginnt nicht mit Gewalt, sondern mit dem kleinen Schritt, Verantwortung abzugeben. Mit dem Wunsch, jemand anderes möge entscheiden. Mit dem Moment, in dem man wegschaut, obwohl man spürt, dass etwas falsch läuft. Einstein äußerte einst nicht umsonst „Die Welt wird nicht durch die bedroht, die Böses tun, sondern die, die Böses zulassen“.

In Zeiten zunehmender Polarisierung, Desinformation und autoritärer Versuchungen ist „Die Welle“ mehr als ein Theaterstück – sie ist ein Aufruf zur Wachsamkeit. Dass junge Menschen diese Botschaft in einer Gedenkstätte mit solcher Intensität auf die Bühne bringen, ist ein starkes Zeichen: Erinnerungskultur lebt nicht vom Rückblick, sondern vom Mitdenken.

Lena Weber