Anhelina Dotsenko liest den Bericht ihrer Flucht aus Mariupol dem ergriffenen Publikum vor.
Osama Zaboub ist in Deutschland angekommen. Als Arzt im Hermeskeiler Krankenhaus ist er vielen bekannt. Die Flucht aus Syrien war seine Rettung.
Üblicherweise gleicht der Volkstrauertag einem uniformierten Schaulaufen auf den Friedhöfen und Kriegsgräberstätten unserer Republik. Reden vom Nie wieder des Kriegs, Zitate pazifistischer Vordenkerinnen wie Bertha von Suttner oder Mahatma Ghandi sind zu hören oder einfach das Schweigen vor den Gräueln des Kriegs. Wirklich erlebte Kriegserinnerungen an den Zweiten Weltkrieg hört man immer seltener, sterben doch die Zeitzeugen und Zeitzeuginnen nach und nach. Dass der Volkstrauertag auch dazu dienen kann, aktuellen Kriegen und Konfliktherden ein menschliches Antlitz zu geben, hat die diesjährige Veranstaltung in Hermeskeil gezeigt.
Im Gästeraum des Feuerwehrmuseums, am geschichtsträchtigen Ort, nämlich dem ursprünglich für Versammlungen der Hitlerjugend errichteten Gebäude, hatte Christoph König nach der traditionellen Kranzniederlegung auf dem Friedhof noch geladen. Er hatte eine neue Idee: „Ich möchte den Volkstrauertag entstauben und ihn dazu nutzen, an aktuelle Kriege und die damit verbundenen Fluchterfahrungen zu erinnern“, betonte der Hermeskeiler Bürgermeister und Berufssoldat.
Erinnerung an aktuelle Kriege und Konflikte
Die rund 50 Gäste, die der Einladung gefolgt sind, haben auf eindrückliche Art und Weise verstanden, dass Krieg und Flucht im Hier und Jetzt tägliche Erfahrung vieler Menschen in Deutschland sind. Zunächst betonte Peter Kretz in seinem kurzen Grußwort die Bedeutung von Erinnerungstagen wie dem Volkstrauertag. Er erinnerte an Angriffe auf unsere freiheitliche Gesellschaft durch islamistisch motivierte Terrorakte. Wie passend, dass daran anschließend Osama Zaboub, Arzt am Marienhaus Campus Hermeskeil seine Geschichte erzählte. Diese begann im Jahr 2011, als in Syrien ein Bürgerkrieg ausbrach, der zunächst Hoffnung auf Freiheit und Demokratie versprach.
Flucht aus Syrien
Zaboub erläuterte anschaulich, wie er sein Leben lebte, Abitur machte und studierte, während direkt nebenan Bomben fielen oder ein Giftgasanschlag Nachbarn, Familie und Freunde tötete. Irgendwann haben seine Eltern und er entschieden, dass die Flucht der einzige Weg war das eigene Leben zu retten. Er erzählte von der Fremdheit, die er trotz seiner in Syrien erworbenen Deutschkenntnisse am Anfang fühlte. Er berichtete auch versöhnlich davon, wie er Aufnahme in Hermeskeil gefunden hat, Hilfe und Unterstützung. Ihm war es wichtig, klarzumachen, was Freiheit und Frieden in Deutschland bedeuten und mahnte die Zuhörenden, diese zu schützen. „Sehr viele Menschen in der Welt kennen Freiheit und Frieden nicht“, endete er seinen Bericht.
Kampf für Freiheit und Frieden
Danach berichtete die 21-jährige Studentin Anhelina Dotsenko aus Mariupol, mit welcher Wucht der Krieg in ihr Leben kam. „Um vier Uhr morgens weckten mich Explosionen“, sagte sie und diese erinnerten sie an Bomben, die schon im Jahr 2014 auf ihre Heimatstadt Nowoasoswk gefallen waren und die damals 10-jährige all ihrer Gewissheiten beraubt hatten. Schnell packte die Familie das Notwendige und verließ die Wohnung. „Während der russischen Besatzung wechselten wir vier Mal den Wohnort, weil Raketen oder Bomben unseren Unterschlupf zerstörten.“ Sie erinnerte an den 16. März 2022 als russische Bomben das Theater in Mariupol zerstörten und zwischen 500 und 1200 Menschen töteten, die in diesem Symbol der Kultur und Geschichte Schutz gesucht hatten. Otsenko berichtete von Massengräbern und Leichen am Straßenrand. Sie sagte: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, sich von seiner Mutter zu verabschieden, ohne zu wissen, wo der Vater oder der Bruder sind.“ Ihr Glaube an die Ukraine hat Bestand. Die russischen Soldaten hatten vorgegeben, sie retten zu wollen. Aber sie fragt: „Wie kann man jemanden retten, dem alles genommen worden ist?“ Sie möchte in einem freien Land, in der Ukraine leben. „Es ist schwer zu glauben, aber es sind unsere Geschichten, und sie müssen gehört werden.“
Anhelina Dotsenko und Osama Zaboub erzählten ihre Geschichten stellvertretend für alle Menschen, die Unfreiheit, Krieg und Verfolgung erleben und hier Schutz suchen. Gut, dass beide in Hermeskeil Gehör gefunden haben. Und in Deutschland frei sagen können, was Krieg und Flucht heute bedeuten. (TB)