(Fortsetzung aus RuH Nr. 48/2024)
Der vorherige Teil des Berichts aus dem Hochwald in der Kölnischen Zeitung vom 11. Juni 1883 endete mit der Feststellung, dass die „zwangsweise Colonisirung der Waldmenschen1 in geschlossene Niederlassungen außerhalb der bestehenden Ortschaften ...ein verhängnisvoller Fehler [war}“ war. Die Gründe dafür werden im Folgenden genannt.
Allmählich nahmen zwar die Franzosen die deutsche Sprache an und kaum einer der Girard, Pascal, Duprez, Francois, Bouillon, Servenais, Mathieu, Detemple, Rozard, Dupont, Pétot, Moundt, Soissons und wie sie alle heißen kennt mehr die welsche Sprache seines Urgroßvaters. Aber im übrigen sind die Colonisten in keiner Hinsicht eine seßhafte ländliche Bevölkerung geworden und konnten das nicht werden.
Die bekanntern Colonieen sind Manderhütten, Waldweilerhütten in der Bürgermeisterei Kell, Dammfloß, Zinsershütten, Neuhütten, Schmelzhütten, Boerfink, Höfchen (ursprünglich Friedrichsdorf), Abtei (ursprünglich Wilhelmsdorf), Tiergarten bei Hermeskeil; die letztgenannte schon in den Kreis Bernkastel gehörig. Hätte man die in diesen Ortschaften jetzt zusammengedrängten Leute zu den übrigen Landbewohnern, den Bauern, in die bestehenden Dörfer eingewöhnt, so würden sie wahrscheinlich, ja, ganz sicher Bauernart angenommen haben, brauchbare, bäuerliche Arbeiter, je nach Fleiß und Sparsamkeit allmählich kleine Ackerbauern geworden sein. So aber ließ man sie zu 30, 60 bis 100 Haushaltungen zusammen, trennte sie von der seßhaften Bevölkerung und gab ihnen zwar eine Hütte, aber zu wenig Flur, um sich bei bestem Willen ehrlich zu ernähren. Die Folge war, daß die einzelnen Colonieen eine enge Zusammengehörigkeit aller Bewohner unter sich behielten und immer schärfer ausbildeten, ihren Unterhalt aber auf Kosten der angrenzenden Eigentümer suchten: die Colonisten wurden die organisirten Feld- und Waldfrevler. Den Wald insbesondere kannten sie ja aufs genaueste, waren an ihn gewöhnt und betrachteten ihn als ihren Ernährer, dem sie mit Gewalt entrissen worden seien. So ist es noch heute. Man hat berechnet, daß sich der Schaden jährlich auf Tausende von Thalern beläuft, den die Colonieen den umliegenden Waldungen zufügen. Versuche, durch strenges polizeiliches Einschreiten die Leute aus dem Walde zu halten, schlugen fehl. „Wenn wir einen Baum brauchen, hauen wir ihn um und wenn sich der Förster drauf setzt“ - das war die Antwort. Eine Zeitlang machte die Regierung den Versuch, die Leute auszukaufen und nach America zu schaffen. Auch er mißlang, war auch so ungeschickt eingerichtet, daß die Leute erst ihre Hütte für hohes Geld an einen Regierungsbeauftragten verkauften und eine Zeitlang verschwanden, alsbald aber wiederkamen und von dem neuen Eigentümer - einem von ihnen selbst bestellten Strohmanne - für geringes Geld sie wieder zurückkauften. Die Regierung wurde auf diese Weise gründlich genarrt.
Vom Waldfrevel allein konnten die Colonieen auf die Dauer indes nicht leben, und es entwickelte sich bei ihnen allmählich eine sehr ursprünglich gebliebene Holzindustrie, die zu Zeiten nicht ganz unlohnend war, heute aber kaum noch etwas einträgt. Die Colonisten verfertigen mit den rohesten Werkzeugen, Messer und Beil, Klammern zum Anheften der Wäsche auf dem Trockenseil, hölzerne Kochlöffel und Schüsseln, Heugabeln, Sensengriffe, Axt-, Schaufel- und Besenstiele - natürlich auch Besen -, Rechen und hin und wieder auch Kopfjoche, in die das Rindvieh eingespannt wird. Die Männer und erwachsenen Kinder arbeiten, die Weiber gehen mit der fertigen Ware meilenweit ins Land hausiren, „auf den Handel“, wie sie sagen. Die Geschicklichkeit im Verkaufen, welche sich einzelne dieser Hausirer nach und nach aneigneten, hat sie zu Händlern im eigentlichen Sinne gemacht. Sie verkaufen nicht mehr die von ihnen und ihren Angehörigen verfertigten Waren, sondern sie kaufen in den Fabriken die gangbaren Hausirartikel aller Art ein und verkaufen sie im kleinen im Umherziehen, wobei sie oft bedeutenden Gewinn machen. Seit Jahren nun geht „der Handel“ schlecht und die Holzarbeit findet kaum noch Käufer. Die Folge davon war, daß seit langem die kräftigern Männer nach den Industriebezirken zogen, um Arbeit und bessern Verdienst zu finden. Die Fälle, daß sie die Angehörigen zu Hause unterstützt hätten, sind verschwindend selten; meist war der Weg nach Bochum oder Essen nur die erste Etappe zur Reise über den Ocean, oft genug kamen die Burschen aber auch nach kurzer Zeit elend und krank ins Dorf zurück. Sie eignen sich zu Fabrikarbeiten durchweg schlecht.
(wird fortgesetzt)
1 Gemeint sind die hauptsächlich aus der französischsprachigen Wallonie in Belgien eingewanderten ehemaligen Holzfäller und Köhler. Sie hatten den Züscher Hammer mit Holzkohle versorgt und sich nahe ihres jeweiligen Arbeitsplatzes in den sogenannten „Waldhüttendörfern“ niedergelassen. Nach der Aufgabe des Hüttenwerks fehlte ihnen die Erwerbsgrundlage.