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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 5/2023
Aus dem Gerichtssaal
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Der „Nachtrunk“ war wohl erfunden

Vor Gericht muss ein Angeklagter – im Gegensatz zu Zeugen – nicht die Wahrheit sagen. Und manchem gelingt es tatsächlich, sich herauszureden, ohne dass man ihm das Gegenteil beweisen kann; dann entscheidet das Gericht „im Zweifel für den Angeklagten“. Der Mann aus dem Hochwald, der diesmal auf der Anklagebank sitzt, hat dagegen kein Glück.

Eigentlich ist es eine Lappalie gewesen: Auf einer ziemlich engen Landstraße gerät er mit seinem Auto zu weit nach links, ein entgegenkommender Fahrer kann wegen einer Leitplanke nicht weit genug ausweichen und so treffen sich die Außenspiegel der Fahrzeuge; Schadenshöhe: 11,79 Euro. Der Verursacher hält kurz an, überlegt es sich aber dann anders und fährt weiter. Sein Pech: Hinter dem entgegenkommenden Auto fährt ein zweites, in dem - rein zufällig – der Neffe des geschädigten Fahrers sitzt. Der wendet sofort und folgt dem Flüchtigen, bis er dessen Kennzeichen lesen und notieren kann. Das gibt er seinem Onkel durch und der verständigt noch vom Unfallort aus die Polizei.

Als die Polizisten am Haus des Fahrers ankommen, ist dieser nicht da, aber sein Auto steht im Hof und weist einen dem Unfallgeschehen entsprechenden Schaden auf. Aber er ist nicht weit weg, erklärt sein Vater den Beamten, die ihn bitten, seinen Sohn nach Hause zu rufen. Als er nach fünf bis zehn Minuten erscheint, stellen die Polizisten einen leicht schwankenden Gang fest und im Gespräch bekommt er die Zunge nicht mehr ganz rund. Den Polizisten erklärt er, dass er gerade bei einem Freund ein oder zwei Bier getrunken hat. Weil das nach der Atemalkoholkontrolle (Ergebnis: 1,23 Promille) nicht stimmen kann, sagt er, es könnten auch drei oder vier gewesen sein, aber die habe er alle nach dem Unfall getrunken. Die Ergebnisse von zwei Blutproben, zu denen er freiwillig mit ins Krankenhaus fährt, zeigen im Abstand von einer halben Stunde 1,36 bzw. 1,26 Promille. Gegen den Strafbefehl, mit dem ihm auch die Fahrerlaubnis entzogen wird, legt der Mann Einspruch ein.

Im Gerichtssaal erklärt er nun, er sei an dem Freitag mittags beim Arzt gewesen und habe dort eine Spritze bekommen. Anschließend sei er nicht auf geradem Weg heimgefahren, sondern habe „auf seiner Lieblingsstrecke noch eine Runde gedreht“, wo dann der Unfall passiert sei. Die Sicht sei schlecht gewesen, weil es geschneit habe. Nach dem kurzen Stop habe er im Rückspiegel aber von einem anderen Auto nichts gesehen, also sei er weitergefahren. Nach seiner Heimkehr sei er zu einem Freund gegangen, mit dem er freitags nach der Arbeit immer einen trinke. Auf die Frage von Richterin Buchenberger, wie viel er bei dem Freund denn getrunken habe, legt er noch einen drauf und behauptet nun, es könnten so sechs bis sieben Flaschen Bier gewesen sein – innerhalb einer Stunde. Warum er das bei der Polizei denn nicht gesagt habe, will die Richterin wissen. Die Antwort: „Die haben nicht danach gefragt“.

Die beiden Zeugen, Onkel und Neffe, erinnern sich bei der Befragung durch die Richterin noch genau, dass es an dem Tag nicht geschneit, sondern nur ein bisschen genieselt hat und dass sie im Rückspiegel ihrer Autos gesehen haben, wie der Unfallverursacher angehalten hat. Sind damit schon zwei Aussagen des Angeklagten eigentlich widerlegt, versetzt ihm Dr. Kaufmann, forensischer Alkohologe in der Rechtsmedizin der Uni Mainz, mit seinem Gutachten den entscheidenden Schlag. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass zum Unfallzeitpunkt eine “sehr deutliche verkehrsmedizinisch relevante Alkoholisierung“ vorgelegen haben muss, noch verstärkt durch das Medikament. Der angebliche Nachtrunk sei durch das Ergebnis der Blutanalysen „umfassend widerlegt“, sagt er.

Nachdem sich der Angeklagte auf Anregung der Staatsanwältin mit seinem Verteidiger vor der Tür besprochen hat, will er nun den Einspruch gegen den Strafbefehl auf die Rechtsfolgen beschränken und erreichen, dass der vorübergehende Entzug der Fahrerlaubnis aufgehoben wird. Doch nach dem Hinweis der Anklägerin, dass in einem Urteil mit Sicherheit auch das Medikament Erwähnung finden und sich die Führerscheinbehörde dafür interessieren würde, zieht der Angeklagte seinen Einspruch komplett zurück, womit das Verfahren beendet ist.