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Rund um Hermeskeil
Ausgabe 5/2023
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Vor 100 Jahren:

Als das Porto für einen Brief 100 Milliarden Mark kostete

Besatzung, Plünderungen, Streik, Separatismus, Inflation – 1923 war auch im Hochwald ein aufregendes Jahr (I)

Von Bernd Willems

Die Zeit nach dem 1. Weltkrieg bringt für das Deutsche Reich einschneidende Veränderungen. Im Waffenstillstand von Compiègne (11. November 1918) hat die provisorische Reichsregierung einwilligen müssen, alle deutschen Truppen hinter den Rhein zurückzuziehen. Die linksrheinischen Gebiete - somit auch unsere Hochwaldregion - und einige rechtsrheinische „Brückenköpfe“ werden im Januar 1919 von Truppen der Siegermächte (Frankreich, Belgien, Großbritannien und USA) besetzt.

Die Amerikaner ziehen sich aber schon nach kurzer Zeit zurück und überlassen ihr Gebiet den Franzosen. Deren Bereich umfasst letztlich das gesamte Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz sowie Teile von Hessen und Nordrhein-Westfalen. Das Saargebiet erhält Sonderstatus und steht unter Verwaltung des Völkerbunds.

Die Verhältnisse in dem französisch besetzten Gebiet sind alles andere als gut. Denn mit der Besatzung beginnt sowohl für die Verwaltung als auch für die Zivilbevölkerung eine schwere Zeit, die Unterdrückungen, Drangsalierungen, Verhaftungen, Ausweisungen und Vergewaltigungen mit sich bringt.

Auch die öffentliche Ordnung ist nicht mehr gewährleistet. Es kommt regional zu Aufständen, Übergriffen und Plünderungen, wie in zeitgenössischen Berichten verschiedener überörtlicher Presseorgane nachzulesen ist:

Aus den dem Saargebiet benachbarten preußischen Grenzdörfern werden neue Plünderungen gemeldet. Ein Angriff wurde von etwa 70 Spartacisten, die sich in den Orten Sitzerath und Gusenburg zusammengerottet hatten, auf die Ortschaft Hermeskeil unternommen. Die Spartacisten drangen abends gegen 10 Uhr in die letztgenannten Orte ein, stürmten Warenhäuser und plünderten sie aus. Die Bürger und Beamten des Ortes bewaffneten sich und es kam zu einem regelrechten Gefecht, wobei zwei Bürger und zwei Plünderer getötet und mehrere verwundet wurden. Französische Truppen sind zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Hermeskeil eingerückt“ („Berliner Tageblatt“ vom 15. Oktober 1919).

Ein halbes Jahr später meldet der „Mannheimer General-Anzeiger“:

Trier, 18. April. Das hiesige Schwurgericht verurteilte 7 Anführer junger Leute aus der Umgegend von Hermeskeil, die im Oktober 1919 als Anführer einer Bande von Spartakisten von über 100 Mann in der Umgebung Hermeskeil schwere Plünderungen verübten, zu einem Jahre Zuchthaus oder zu Gefängnisstrafen von einem halben bis anderthalb Jahren. Der Rest der Anführer wird sich vor der Strafkammer zu verantworten haben. („Mannheimer General-Anzeiger“ vom 29. April 1920)

Eine „Sittenverwilderung im besetzten Gebiet“ sieht die „Oldenburger Zeitung“ im Sommer 1922:

Auf den Strecken der Hochwaldbahn, im Hunsrück und auf dem Bahnhof Hermeskeil haben sich die Ausschreitungen der mit den Abendzügen aus dem Saargebiet kommenden jugendlichen Arbeiter gegen das Bahnpersonal so gesteigert, daß die Direktion in Trier die in Betracht kommenden Betriebe verständigt hat, durch entsprechende Bekanntmachungen auf die Arbeiterschaft einzuwirken, sonst würde die Bahnverwaltung den Verkehr einstellen. U. a. ist dieser Tage eine Rotte Arbeiter mit gezogenem Messer gegen Bahnbeamte, die Ordnung schaffen wollten, losgegangen. Die Exzesse sind vielfach unter dem Einfluß von Alkohol begangen worden. Daher ist die Bahnhofswirtschaft Hermeskeil fortan am Sonnabendnachmittag von ½6 bis ½7 Uhr geschlossen („Oldenburger Zeitung für Volk und Heimat“ vom 28. Juli 1922).

Die Ruhrbesetzung und die Folgen

Weil das Deutsche Reich nicht in der Lage ist, die im Versailler Vertrag auferlegten Reparationszahlungen in vollem Umfang zu leisten, besetzen französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 zusätzlich noch das Ruhrgebiet und einen Monat später die Häfen Wesel und Emmerich sowie weitere rechtsrheinische Gebiete. Gleichzeitig unterstützt die Besatzungsmacht separatistische Bestrebungen im Rheinland zur Errichtung einer vom Deutschen Reich unabhängigen „Rheinischen Republik“.

Die Besetzung des Ruhrgebiets löst in der Weimarer Republik eine „nationale Empörung“ aus. Die Regierung ruft die Bevölkerung zwei Tage nach dem Einmarsch der Besatzungstruppen zum passiven Widerstand auf und stellt nun die Zahlung von Reparationen ganz ein. Generalstreiks legen weite Teile des Lebens im besetzten Gebiet lahm, Betriebe und Behörden leisten Widerstand. Beamte und Arbeiter der Reichsbahn verweigern den Dienst und verlassen ihre Dienstposten, wobei sie nicht nur alle dienstlichen Unterlagen und Informationen mitnehmen, sondern auch in Bahnhöfen und Stellwerken die Beschriftungen demontieren und Lokomotiven und Wagen in unbesetztes Gebiet bringen. Ein besonderes „Glanzstück“ des Widerstands ist die Tat des Hermeskeiler Lokomotivführers Franz Kratz: Er versenkt eine Lokomotive in der Drehscheibe am Bahnhof, sodass der Lokschuppen mit sämtlichen darin untergebrachten Lokomotiven und Maschinen blockiert ist.

Schon am 7. Februar 1923 meldet die „Kölnische Zeitung“, dass sich die Betriebslage bei der Reichsbahn im Direktionsbereich Trier weiter verschärft hat und alle Bahnlinien in der Region Trier, darunter auch die Hochwaldbahn von Trier nach Hermeskeil, stillgelegt sind.

Die französische Besatzung reagiert mit der Übernahme der Reichsbahn in den „Regiebetrieb“, was den Einsatz französischer und belgischer Eisenbahner erfordert. Weil ihnen aber die Informationen fehlen und die deutsche Technik von französischen und belgischen Standards abweicht, kann man sich leicht vorstellen, welches Chaos entsteht. Unfälle und eine erheblich reduzierte Leistungsfähigkeit des Eisenbahnnetzes sind die Folgen.

Abschiebungen, Verhaftungen, Misshandlungen

Auch andere Lebensbereiche, die allgemeine Verwaltung sowie Zoll und Forst sind von den Maßnahmen der Besatzer betroffen. Diese gehen dazu über, reichstreue Beamte und prominente Persönlichkeiten auszuweisen oder einzusperren. Aus Hermeskeil werden am 30. März 1923 Bürgermeister Clemens Freiherr von Wendt, Bürgermeisterei-Obersekretär Nikolaus Räsch, Kaufmann Paul Weber und Sattlermeister Wilhelm Sander ausgewiesen. Nachdem sie bei Diez an der Lahn über

die Demarkationslinie abgeschoben sind, geht die Drangsalierung weiter.

Da die Beamtenschaft sowie die Arbeiter und Angestellten der öffentlichen Betriebe keiner Anordnung der Besatzungsmacht mehr nachkommen, begibt sich der französische Kreisdelegierte des Kreises Trier, Major Batesti, nach Hermeskeil, um die Verwaltungen zur Mitarbeit zu bewegen. Bei seinem Erscheinen im Rathaus lässt er den Dienstältesten, Bürgermeister-Sekretär Matthias Schneider zu sich ins Büro des Amtsbürgermeisters bitten und versucht ihn unter Druck zu setzen und ihn für seine Ziele gefügig zu machen. Da Schneider aber allen Anordnungen und Versprechungen des Kreisdelegierten Widerstand leistet, wird auch er am 3. Juli 1923 mitsamt seiner Familie ausgewiesen. Mit ihm werden der 1. Amtsbeigeordnete und Verleger der „Hochwald-Zeitung“ Josef Lohmer, Gemeindeoberförster Schäfer, Katasterdirektor Mischke sowie die beiden Lokführer Scheidler und Kniewel über die Grenze bei Diez abgeschoben.

Kurze Zeit später werden vier weitere Bedienstete, der 2. Beigeordnete Peter Trösch, Verwaltungssekretär Peter Schneiders, Polizeihauptwachtmeister Peter Serwene und Verwaltungssekretär Michael Schömer, verhaftet. Sie werden vor das französische Militärgericht gestellt und zu je sechs Monaten Gefängnis wegen Verweigerung der Befehle der Besatzungsmacht verurteilt. Die Strafe müssen sie in Wittlich absitzen. Die Ausweisungen nehmen anschließend ihren Fortgang.

Auch werden Hermeskeiler Bürger, namentlich bekannt der Schuhmachermeister Krämer und der Gemeindeoberförster Schäfer, auf offener Straße von Offizieren der französischen Besatzung mit der Reitpeitsche misshandelt. Ein junges Mädchen von Gusenburg wird auf dem Heimweg von Hermeskeil im Wald im Distrikt Hammersfeld von Besatzungssoldaten vergewaltigt.

Alle Eingaben der Verwaltung und von Personen des öffentlichen Lebens finden jedoch bei den höheren Dienststellen der Besatzungsmacht keinerlei Gehör und werden ignoriert. Vielen der Ausgewiesenen und inhaftierten Beamten und Zivilpersonen werden ihre Wohnungseinrichtungen zwangsweise von den Besatzungsangehörigen weggenommen. Auch hier helfen alle Beschwerden nichts. (wird fortgesetzt, Quellenangaben im letzten Teil der Serie)