Der jungen Frau auf der Anklagebank wirft die Staatsanwaltschaft vor, sie habe nicht nur Widerstand gegen einen Polizeibeamten geleistet, sondern diesen auch noch angegriffen, und zwar -was besonders schwer wiegt - mit dem Auto. Sie soll auf ihn zugefahren sein, bis die Stoßstange sein Schienbein berührt hat.
Ein Kreisverkehr ist wegen einer Ölspur gesperrt. Feuerwehr und Polizei sind vor Ort und ein junger Beamter fordert die Autofahrer auf, vor dem Kreisel zu wenden. Einer ist gerade so noch durchgewischt und wendet um die Verkehrsinsel vor dem Kreisel herum, was die junge Frau offenbar auch vorhat. Doch der Beamte hindert sie daran und sagt, sie solle vor der Insel wenden. „Sie wollte unbedingt durch den Kreisel fahren“, berichtet er im Zeugenstand und ergänzt, sie habe keinerlei Einsicht gezeigt. Als sie trotz seines Verbots losgefahren ist, schlägt er gegen die hintere Seitenscheibe ihres Autos, worauf sie wieder zum Stehen kommt. Nun stellt er sich vor ihr Auto, doch sie fährt trotzdem an, bis ihr Auto sein Schienbein berührt. Er hat zwar nicht das Gefühl, dass sie die Absicht hat, ihn zu verletzen, doch auch wenn er keine Schmerzen gespürt, ist das dann doch zu viel. Er nimmt ihre Personalien auf, spricht mit zwei Zeugen, die die Szene aus der Nähe beobachtet haben und erstattet Anzeige.
Diese Zeugen, eine Frau und ein Mann - sie kennen die Angeklagte nicht, sind also neutral - erinnern sich gut an das Geschehen, die Frau hat sogar ein Foto davon gemacht. Sie hat das Handy zur Hand gehabt, weil ihre Söhne bei der Feuerwehr im Einsatz gewesen sind. Der ältere Mann, der zu Beginn etwas weiter entfernt gestanden hat, ist näher gekommen, als er aus dem Auto - so berichtet er - „aggressives Schreien gehört“ und irgendwie „Angst um den jungen Polizisten“ gehabt hat, weil der Motor des Autos mehrmals aufgeheult hat. Der Beamte sei ihm dagegen „ziemlich ruhig“ vorgekommen.
Es gibt noch einen weiteren Zeugen, nämlich den Vater der Angeklagten, der auf dem Beifahrersitz gesessen hat. Ob er eine völlig andere Wahrnehmung gehabt hat oder zu Gunsten seiner Tochter aussagen will - er schildert die Szene völlig anders. Der Polizeibeamte habe seiner Tochter gesagt, dass sie wenden solle, doch dabei immer im Weg gestanden. Er sei dann „immer aggressiver“ geworden, habe einen Schritt auf das Auto zu gemacht, auf die Motorhaube geschlagen und gerufen „Was soll das?“, als seine Tochter, die sehr aufgeregt gewesen sei, „ganz zart losgefahren“ sei. Richterin Buchenberger will wissen, wie der Beamte denn vor dem Auto gestanden habe, worauf der Zeuge aufsteht, sich breitbeinig hin stellt und die Hände erhebt, mit den Handflächen zum Auto hin. „Da fährt man doch nicht los!“, entfährt es da der Richterin.
Im Gerichtssaal sind nicht nur Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse des Hermeskeiler Gymnasiums mit ihrer Lehrerin, die die Verhandlung interessiert verfolgen - nicht zuletzt, weil es auch darum geht, ob der Angeklagten der Führerschein entzogen werden soll. Auch eine Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe ist vor Ort, weil die junge Frau zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt gewesen ist. Sie plädiert für die Anwendung von Jugendstrafrecht, weil sie den Eindruck hat, diese sei in dieser Situation völlig überfordert gewesen. Der Vorfall habe sie sehr belastet und ihr schlaflose Nächte bereitet. Mit einer Ermahnung und vielleicht noch einer Geldbuße sei die Tat ausreichend bestraft.
Der Vertreter der Anklage sieht die Anklagepunkte durch die Aussagen der unbeteiligten Zeugen bestätigt. Der Polizist habe vor dem Auto gestanden um zu signalisieren, dass die Frau nicht weiterfahren dürfe. Sie habe das Auto dann trotzdem nach vorne bewegt, „obwohl sie wusste: Da steht ein Mensch“. Das wiederholt er, um der Aussage Nachdruck zu verleihen. Er fordert eine Verwarnung, eine Geldbuße von 2500 Euro und den Entzug der Fahrerlaubnis. Der Verteidiger fordert Freispruch. Er sieht keine Absicht bei seiner Mandantin: „Das ist blöd gelaufen, aber nicht strafbar“, meint er.
Doch das Gericht folgt der Anklage. Richterin Buchenberger hält die Aussage des Vaters nicht für glaubhaft. Es sei unbestritten, dass die Angeklagte auf den Polizisten zugefahren sei. Das gehe gar nicht. Wenn sie z.B. Gas und Bremse verwechselt oder von der Kupplung abgerutscht wäre, hätte es schlimm ausgehen können. Als Erwachsene hätte sie die Mindeststrafe von 6 Monaten erhalten. So kommt sie mit einer Geldbuße und einer Führerscheinsperre für weitere drei Monate davon. Die Kosten des Verfahrens hat sie auch zu tragen, weil sie schon eigenes Einkommen bezieht.