Dem Angeklagten, einem Mittvierziger, wird sexuelle Nötigung einer minderjährigen Nichte seiner Ehefrau vorgeworfen. Er soll sie vor ein paar Jahren, als sie noch unter 14 Jahre alt war, und später nach ihrem 14. Geburtstag noch ein zweites Mal unter Vortäuschung einer Massage gegen ihren Willen an verschiedenen Körperstellen berührt haben. Die Gerichtsverhandlung als solche ist recht kurz, der Angeklagte kommt kaum zu Wort und es entspinnt sich eine juristische Fachdiskussion zwischen Richterin Buchenberger, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger. Letzterer hat darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung in derartigen Fällen der Intensität und der Erheblichkeit der sexuellen Handlungen besonderes Gewicht beizumessen sei und dies hier eher geringfügig ausfalle. „Und der Angeklagte bestreitet die Sache ja sowieso“, ergänzt er und bringt die Einstellung des Verfahrens nach § 153 der Strafprozessordnung (StPO) ins Spiel. Danach kann von der Verfolgung eines Vergehens (Anm.: nicht eines Verbrechens) abgesehen werden, „wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“. Doch die Richterin und der Ankläger winken unisono ab: Es komme allenfalls die Nachfolgebestimmung, § 153a StPO, in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Verfahren vorläufig unter Auflagen und Weisungen eingestellt werden, „wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“. Der Rechtsanwalt, der die Eltern des Mädchens als Nebenkläger vertritt, wirft ein, dass sexuelle Handlungen an einem Kind nicht als „geringfügig“ anzusehen sind, weshalb § 153 StPO nicht in Frage komme. Auch bei § 153a hat er Bedenken, doch der Staatsanwalt weist darauf hin, dass eine Zustimmung der Nebenkläger in diesem Fall nicht notwendig ist.
Jetzt wird es spannend, denn es geht um den Preis für die Einstellung, sprich: um die mögliche Höhe der Geldauflage. Und da fühlt sich der Beobachter fast wie auf einem orientalischen Basar, denn es wird gehandelt. Nach einem „Angebot“ von 1000 €, das beim Gericht und der Staatsanwaltschaft offensichtlich nicht auf Gegenliebe stößt, bittet der Verteidiger um eine Auszeit und verlässt mit dem Angeklagten den Gerichtssaal. Als die beiden wieder eintreten, erklärt der Anwalt, sein Mandant sei bereit, 2000 € zu zahlen, was wiederum den Vertreter der Nebenkläger veranlasst, ebenfalls um eine Auszeit zu bitten, weil er mit den Eltern telefonieren möchte. Diese sehen es, erklärt er nach seiner Rückkehr, „kritisch, dass sich der Angeklagte mit 2000 € ‚freikaufen‘ können soll“. Der Jurist spricht sich daher gegen die Einstellung des Verfahrens aus, woraufhin der Verteidiger sein Angebot auf 2200 € erhöht und der Staatsanwalt mit 2500 € noch eins drauflegt.
Richterin Buchenberger zeigt Verständnis für den Wunsch der Nebenkläger. „Aber man weiß nie, was am Ende dabei herauskommt“, sagt sie und ergänzt diesbezüglich, dass nach einem Gutachten, das die Glaubwürdigkeit des Kindes beurteilen soll, dessen Erstvernehmung durch die Polizei „qualitativ sehr schlecht“ gewesen sei.
Am Ende sind Ankläger und Angeklagter mit der vorläufigen Einstellung des Verfahrens einverstanden. Dem Angeklagten wird auferlegt, an die Nichte seiner Ehefrau innerhalb eines Monats einen Betrag von 2500 € zu zahlen und dies dem Gericht nachzuweisen. Danach wird das Verfahren endgültig eingestellt. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse, der Angeklagte hat seine Auslagen selbst zu tragen.