Die junge Frau auf der Anklagebank, die wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung angeklagt ist, hat es offenbar in letzter Zeit nicht leicht gehabt. Trennung und Scheidung vom Ehemann sind „sehr unschön“ verlaufen, wie sie sagt; die beiden Kinder leben bei ihr. Unter Tränen berichtet sie von einer psychischen Ausnahmesituation, dass sie die Arbeit verloren hat, eine Fortbildung abbrechen musste und auch einen Suizidversuch begangen hat. Als sie nicht mehr konnte, hat sie eine Weile eine psychiatrische Tagesklinik aufgesucht. Inzwischen hat sie zu ihrem früheren Ehemann wieder ein sehr offenes und vertrauensvolles Verhältnis und er kümmert sich auch um die gemeinsamen Kinder, wenn es mal notwendig ist.
Ein Zeitlang hat sie mit einem neuen Partner zusammengelebt, aber dieses Verhältnis wird für sie zur Belastung, weil es immer wieder Streit gibt und der Neue zu Gewaltausbrüchen neigt, sagt sie. Nachdem man sich wohl wieder getrennt hat, übt er angeblich Psychoterror auf sie aus, zersticht die Reifen ihres Autos und schmiert Beleidigungen an eine Mauer. Sie hat angeblich „von Freundinnen erfahren“, dass er es war. Als sie ihn bei einer Gelegenheit in ihrem Haus darauf anspricht, eskaliert es: Er streitet die Vorwürfe ab, man zofft sich und er gibt ihr angeblich eine Ohrfeige. Daraufhin holt sie ein Küchenmesser aus der Schublade, um sich zu verteidigen; sie behauptet, sie habe es hinter ihren Rücken gehalten, nicht auf ihn eingestochen. Vielmehr habe er nach der Klinge gegriffen und sich dabei selbst verletzt. Sie habe den Mann entgegen seiner Anzeige auch nicht eingesperrt. Auf das Unverständnis von Richterin Sarah Weber, mit diesem Mann zusammen sein zu wollen, erklärt die Angeklagte, sie sei abhängig von ihm gewesen. „Ich war blind und hatte Angst, allein zu sein“, schluchzt sie. Ihr Verteidiger bittet um eine kurze Pause, in der sie sich fassen kann.
Als anschließend der Mann in den Zeugenstand tritt, wird es auf Seiten der Richterin und des Staatsanwalts zunächst deutlich lauter als sonst. Der Grund ist, dass er sich ganz lässig und - wie er wohl meint - cool gibt und sich angeblich an überhaupt nichts mehr erinnern kann. Richterin Weber fragt: „Was wissen sie noch?“ und er sagt kurz und knapp: „Nichts.“ „Das ist gelogen!“, versetzt der Staatsanwalt laut und droht mit Konsequenzen bis hin zu einer Festnahme wegen Falschaussage. Nachdem auch die Richterin ihn nochmals deutlich belehrt hat, kriegt er doch die Kurve. Er weiß zwar nicht mehr, worüber man gestritten hat, aber dass sie ein Messer geholt „und damit herumgefuchtelt“ hat, daran erinnert er sich: „Ich wollte es ihr abnehmen, habe zugepackt und sie hat das Messer rausgezogen. Das wars.“ Bedroht habe sie ihn mit dem Messer nicht, sagt er auf Nachfrage. Bei der Polizei habe er gesagt, sie hätte alle Türen zugesperrt und sei mit dem Messer auf ihn zugekommen, hält ihm der Staatsanwalt vor, doch er beharrt darauf, dass er heute nur noch weiß, dass er „in das Messer reingegriffen“ hat. Weil er zur Arbeit musste, hat er - nachdem die Angeklagte seine blutende Hand verbunden hatte - durch eine ihm bekannte Tür im Obergeschoss das Haus verlassen - so viel zur Freiheitsberaubung.
Einen besonders glaubwürdigen Eindruck hat der Zeuge bei Richterin Sarah Weber nicht hinterlassen. Sie „wage sich jetzt mal ein bisschen aus der Deckung“, erklärt sie. Eine weitere Aufklärung wäre vielleicht durch Vernehmung der Kinder, die bei der ganzen Sache dabei gewesen sind, möglich, aber das wolle sie nicht. Sie könne sich eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflage vorstellen. Der Staatsanwalt schlägt 2000 Euro vor, sie fragt „Wie wär’s mit 1800 Euro in monatlichen Raten von 300?“ Damit sind dann sowohl der Ankläger als auch der Verteidiger einverstanden. Die Angeklagte selbst bricht wieder in Tränen aus. Vielleicht sind es ja Tränen der Erleichterung darüber, dass sie einer Bestrafung entgeht. (WIL-)