Der pensionierte Polizeibeamte auf der Anklagebank macht einen ebenso seriösen wie selbstsicheren Eindruck. Man wirft ihm vor, er habe einen Anderen beleidigt und bedroht.
Es ist eigentlich eine alltägliche Situation im Straßenverkehr: Jemand fährt ihm - aus seiner Sicht - aus einer Seitenstraße vor die Nase und er muss „in die Eisen gehen“. Als er nun versucht, den Anderen zu überholen, gibt der Gas und er muss den Überholvorgang abbrechen, weil ein Auto entgegen kommt. Beim zweiten, diesmal erfolgreichen Überholversuch zeigt er dem Fahrer des anderen Autos angeblich den Mittelfinger. Als er im Rückspiegel sieht, dass das Auto in einen Feldweg einbiegt, wo ein Kleinbus steht, wendet er, begibt sich auch dorthin und stellt den Fahrer zur Rede, wobei er gedroht haben soll, ihm die Zähne einzuschlagen und sein Auto zu demolieren.
Das bestreitet der Angeklagte nun und sagt, das erste habe er so nicht gesagt, sondern: „Ich hätte nicht übel Lust Ihnen eine reinzuhauen, aber ich werde es nicht tun.“ Und er habe auch „hundertprozentig“ nicht gesagt, er werde das Auto demolieren. Heute bedauert er, dass er da überhaupt hingefahren ist. Hier sitzt er nun, weil der andere Fahrer ihn angezeigt hat.
Der tritt als Zeuge auf und findet klare Worte: „So einen aggressiven Mann habe ich noch nie gesehen“, sagt er, und berichtet, der Angeklagte habe das Fenster heruntergekurbelt und geschrien: „Was soll die Sch…?“ Und weiter sinngemäß: „Ich schlag dir alle Zähne aus der Fresse und ich hab dein Kennzeichen. Wenn ich dein Auto sehe, schlage ich es kraus und klein.“ Nach seiner Erinnerung ist er ganz normal aus der Seitenstraße herausgefahren, weil das Auto des Angeklagten noch weit weg gewesen sei. Da sei eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h, doch der Angeklagte sei viel zu schnell gewesen: „Wenn er 70 gefahren wäre, wäre das nicht passiert.“ Richterin Buchenberger will noch wissen, warum er Anzeige erstattet hat, und der Zeuge sagt, er sei „ja erst mal von den Socken gewesen“ und habe sich echt bedroht gefühlt.
Der Verteidiger versucht ihn mit gezielten Fragen, die teils an Wortklauberei grenzen, in die Zange zu nehmen und vermeintliche Widersprüche zwischen seiner heutigen Aussage und der früheren bei der Polizei zu entdecken. Doch der Mann bleibt ruhig und sachlich und lässt sich nicht in die Enge treiben. Der Fahrer des Kleinbusses - ein Oldtimer, der an der Stelle liegengeblieben ist, weshalb er seinen Bekannten zu Hilfe gerufen hat - bestätigt die Aussagen. Zuerst habe er geglaubt, die beiden seien miteinander bekannt, aber dann sei der Angeklagte gleich sehr laut geworden und habe gegenüber seinem Bekannten die hier bereits zitierten Drohungen ausgestoßen.
Auch ihn versucht der Verteidiger aufs Glatteis zu führen, was aber nicht gelingt. Nun sieht er offenbar seine Felle davon schwimmen, denn er beantragt ein Rechtsgespräch, bei dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll. Als der RuH-Redakteur als einziger Vertreter der Öffentlichkeit wieder in den Sitzungssaal darf, ist die Sache schnell vorbei. Das Verfahren gegen den Angeklagten wird im allerseitigen Einverständnis gegen die Zahlung einer Auflage von 1800 Euro an eine gemeinnützige Organisation eingestellt. Der zu Beginn so selbstsichere Angeklagte hat also unter dem Eindruck der übereinstimmenden Zeugenaussagen noch die Kurve gekriegt und ist nicht vorbestraft. Bei einer Verurteilung hätte ihm das durchaus blühen können.