von Hans Georg Rosar
Der Fastnachtsanfang ist eine öffentliche Demonstration. Die Fastnacht beginnt und damit bricht eine neue Zeit an: die fünfte Jahreszeit. Aber die Zeit ist begrenzt. Sie beginnt im November am 11.11. und dauert bis Fastnachtsdienstag. Am Aschermittwoch ist alles vorbei.
Welche der vielfältigen Bezeichnungen für die närrische Zeit man auch nehmen mag, keine erklärt den ursprünglichen Sinn eines Zeitraumes, in dem das Ausbrechen aus Gewohnheiten, Zwängen und Konventionen manchen Mitmenschen total verändert, verfremdet, befreit, oder sogar enthemmt. Es gibt zwar kein kirchliches Fest der Narren, aber dennoch ist die Fastnacht ein Teil des Kirchenjahres und sei es auch nur vom Ende, vom Aschermittwoch her gesehen. Seit im Jahre 1091 das Konzil von Benevent den Beginn des österlichen Fastens auf den Mittwoch vor dem Sonntag Invocavit (Bezeichnung des ersten Fastensonntags) legte, ist Fastnacht im engeren Sinne der Vorabend der Fastenzeit. Deshalb ist es auch nicht richtig, Fastnacht im Sommer zu feiern, weil Fastnacht nur in Verbindung mit der Fastenzeit, die von Aschermittwoch bis Ostern dauert, gesehen werden kann. Aber in der heutigen Zeit, in der man sich über so vieles hinwegsetzt, ist dies auch möglich und wird auch so praktiziert.
Die närrische Zeit
Die närrische Zeit im engeren Sinne umfasst sechs Tage. Sie dauert vom Dicken Donnerstag bis Fastnachtsdienstag. Als Karnevalsession oder als die Zeit für Sitzungen gilt die Zeit von Dreikönig an (6. Januar). Hier wirkt das Fest des Bohnenkönigs nach. Der 11.11. (Elfter im Elften) als närrischer Starttermin erklärt sich daraus, dass die Zahl Elf seit Jahrhunderten als Narrenzahl gilt, im 19. Jahrhundert bei der romantischen Kalenderreform neu entdeckt wurde und Eingang in das Brauchtum fand (Elferrat). Nach Martini (11. Nov.) begann auch früher eine Fastenzeit, das sog. Adventsfasten, das bis Weihnachten dauerte. Und vorher wollte das Volk noch einmal richtig feiern, deshalb kann es auch sein, dass daher der Beginn der Fastnachtszeit auf den 11.11. gelegt wurde. Der 11.11. als Karnevalsauftakt hat sich aber erst in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ergeben.
Verschiedene Deutungen von Fastnacht und Karneval
Ist Fasching die Zeit, in der der Vastchang, der Fastendrunk ausgeschenkt wurde? Oder ist damit die Zeit des Fass-Schanks gemeint, in der die Grundherren im Mittelalter einmal im Jahre diejenigen bewirteten, die ihnen den Zehnten schuldeten? Hier kommt schon der Rollentausch ins Spiel, die kurze Umkehr der gesellschaftlichen Ordnung. Ist Karneval die aus Italien gekommene Sitte, den „carrus navalis“ den Schiffswagen mit allegorischen Darstellungen bei Umzügen mitzuführen? Es ist ein Brauch, der in den Rosenmontagszügen der Gegenwart weiterlebt. Oder erklärt das kirchliche Gebot des Verzichts aus Fleischspeisen – carnis levamen, die Wegnahme des Fleisches, den tieferen Sinn des Begriffs, vereinfacht auch als entsagende Aufforderung carne vale! (Fleisch lebe wohl) bekannt?
Ausbruch aus sozialen Zwängen
Ehe die Fastnacht im 10. - 12. Jahrhundert durch die Kirche auf die Zeit vor der Fastenzeit eingegrenzt wurde, feierte man die Fastnacht als Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsfest. Elemente des Winteraustreibens waren Lärm, Masken, Verkleidung, die Fruchtbarkeitsgerte und der personifizierte Winter in Form eines Strohmanns. Mit viel Krach und Lärm wurde der Winter schließlich aus dem Dorf getrieben und der Sieg mit Musik, Gesang, Trank und Speise, Tanz und Narretei gefeiert. „Bis im europäischen Schmelztiegel aus heidnischer Spaß- und christlicher Leitkultur ein brauchbares Amalgam wurde, dauerte es natürlich eine Weile, ungefähr bis in 13. Jahrhundert“ (Ulrich Huth). Am Ende standen kirchlicherseits geduldete Exzesse. Nach offizieller Lesart führten sie allen Christenmenschen diejenigen Sünden vor Augen, die zu begehen der Teufel andauernd animierte, unter ihnen die Todsünden der Völlerei und Faulheit. Die auf die Fastnacht folgende Fastenzeit sollte die verirrten Schafe dann wieder auf den rechten Weg führen. Das Seelenheil war aber nicht der einzige Zweck dieser Übung, denn der Karneval war nicht nur einer Gelegenheit, sich mit Billigung der Obrigkeit sinnlos zu betrinken und merkwürdige Dinge anzuziehen, komische Laute von sich zu geben und allerlei Verrücktheiten zu tun. Tatsächlich war es auch eine politische Angelegenheit. Die das ganze Jahr über strikte soziale Ordnung sollte einmal auf den Kopf gestellt werden dürfen, um soziale Unruhen zu vermeiden. Menschen aus dem einfachen Volk regierten als Prinz und Prinzessin, Dreigestirne die Stadt, Frauen stürmten die Rathäuser, nahmen den Männern die Schlüssel und damit symbolisch die Macht ab. Männer verkleideten sich als Frauen und Frauen als Männer und brachten die sonst säuberlich getrennten Geschlechterrollen durcheinander. Versteckt hinter Verkleidung und Masken durften die „kleinen Leute“ straflos öffentliche Tumulte namens Karnevalsumzüge inszenieren, dabei die Obrigkeit schmähen und im Schutz der Maskerade manchen ungeliebten Menschen einen Denkzettel verpassen. Karneval und Fastnacht war ein Ventil für den Frust der politisch Ohnmächtigen, war obrigkeitlich genehmigte Anarchie, eine Revolution mit Verfallsdatum.
Karneval und Fastnacht ist heute ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. In Köln, Düsseldorf und Mainz und vielen andere Städten und Dörfern geben die Jecken mehrere hundert Millionen Euro für den Karneval aus. Die Karnevalsindustrie beschäftigt viele Menschen. Die Hotels in den Regionen sind ausgebucht, die Taxifahrer machen ein gutes Geschäft. Jedes Jahr werden neue Masken, Kostüme und natürlich auch Orden gebraucht. Aber nicht jeder Mitmensch liebt die Fastnacht oder den Karneval. Vielen geht die wochenlange verordnete Fröhlichkeit gehörig auf die Nerven. Man kann zu der Fastnacht stehen wie man will. Eins ist sicher: die fünfte Jahreszeit dauert nicht ewig. Am Aschermittwoch ist alles vorbei.
Literatur: „Feste und Bräuche im Jahreskreis“ Pattloch Verlag, Aschaffenburg, „Feiern, Feste, Jahreszeiten, Manfred Becker-Huberti, Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau. Ulrich Huth, FAZ, Nr. 36, 12.02.2002, „Revolution mit Verfallsdatum, die fünfte Jahreszeit ist zu ihren heidnischen Wurzel zurückgekehrt.“