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Unsere Heimat VG Herrstein-Rhaunen
Ausgabe 50/2023
Nichtamtlicher Teil
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Umzug ins „tiny-Haus“ – der etwas andere Wohn(t)raum

Im Rahmen des integrierten Standortentwicklungsprozesses der VG Herrstein-Rhaunen fand am 29.09.2021 der erste Workshop zum Thema „Wohnraum - wie wollen wir in Zukunft wohnen?“ statt. Wir haben mit unterschiedlichsten Akteuren besprochen, wie die Bedarfe und Wünsche hinsichtlich wohnen aussehen, auf welche Herausforderungen wir aktuell treffen und wie wir uns zukunftsfähig für unterschiedliche Zielgruppen und deren individuelle Bedarfe aufstellen können. Eine der Teilnehmerinnen des Workshops war Heide Jaenicke aus Rhaunen. Sie stellte ihre Ideen vor, wie sie zukünftig wohnen möchte und inspirierte die Gruppe. Heute - 2 Jahre später - haben wir uns nochmal getroffen, um das umgesetzte Ergebnis in Augenschein zu nehmen und haben Frau Jaenicke in ihrem „flying space“ besucht. Im Interview berichtet sie über ihre Erfahrungen und Beweggründe.

Wie kam es zum Entschluss Ihr großes Wohnhaus (über 200 m²) zu verkaufen um zukünftig in einem tiny-Haus (60 m²) zu wohnen?

„Im ersten Corona-Winter habe ich für mich „Bestandsaufnahme“ gemacht - 71 Jahre alt, alleine lebend in einem großen Haus, brauche noch keine Hilfe. Mein Haus, mein Garten sind viel zu groß für eine Person. Arbeitsaufwand und Kosten sind im Verhältnis zum Nutzen zu hoch. Ich war schon immer ein kreativer „Freigeist“ und stellte mir die Fragen wie will ich den Rest meines Lebens leben, was ist mir wirklich wichtig? Was reicht mir für ein gutes Leben, was „schleppt“ man alles mit, was einfach da ist? Und was kann mein Beitrag sein für eine nachhaltige, ökologisch bessere Zukunft?“

Welche Punkte waren Ihnen bei Ihren Überlegungen sonst noch wichtig?

„Ich wollte in Rhaunen wohnen bleiben, um mein soziales Umfeld zu erhalten. Es war mir wichtig weiterhin ein eigenes Haus zu haben mit kleinem Garten (keine Wohngemeinschaft Eigentumswohnung oder Mietwohnung). Es sollte ein Haus der kurzen Wege mit geringerem Pflegeaufwand sein, um weniger wertvolle Zeit (im Alter knappe Zeit) mit Säubern und Pflegen aufzubringen. Intension war auch den Ressourcenverbrauch zu verringern, also einen besseren ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Ich hatte die Bereitschaft mich von vielem zu trennen, „Ballast“ abzuwerfen, also die Reduktion auf die Dinge, die ich wirklich brauche. Mein flying space hat keine Zimmertüren (außer die Toilette), somit entfallen auch die Türzargen und man gewinnt Raum. Ich bin alleine und muss nichts hinter Türen „verstecken“. Durch die bewusste Verkleinerung habe ich geringere Fixkosten und somit finanzielle Freiheiten gewonnen.“

War es nicht schwierig sich zu „trennen“?

„Meine Entscheidung war ja keine „Nacht- und Nebelaktion“ - es war ein Prozess. Nachdem ich mir verschiedene Fragen gestellt und für mich beantwortet hatte, habe ich quasi im Ausschlussverfahren entschieden, welche Wohnform für mich zukünftig die richtige ist und bin den Weg gegangen. In mein neues Heim habe ich nur die Dinge mitgenommen, die mir wirklich wichtig sind, die mich an Zeiten oder Begebenheiten erinnern. Neu gekauft habe ich nichts. Ich trage viele wertvolle Bilder in meinem Kopf, habe aber auch ein paar „Erinnerungskisten“ gepackt und in meiner Werk-Garage eingelagert. Auch den Fernseher habe ich nicht mitgenommen - mit meinem neuen Heim habe ich mir viele neue Freiheiten gewonnen. Aber es war auch nicht alles einfach - mich von der Radierung, der Karlsruher Radierpresse, zu trennen, war schon ein großer Schritt. Mein künstlerisches Wirken habe ich nicht eingestellt, jedoch verkleinert. Mein Werkraum befindet sich nun in der Garage und ich kann meine künstlerische Arbeit hier fortsetzen.“

Auf welche Herausforderungen sind Sie in der Umsetzung gestoßen?

„Eine große Herausforderung war tatsächlich zunächst überhaupt ein kleines Grundstück zu finden - ich wollte mich ja verkleinern und eben keinen 700 oder 800 m² Grund- und Boden besitzen, wie sie üblich bei uns zu finden sind. Letztendlich konnte ich von Privat ein Grundstück von 430 m² kaufen, welches nachträglich erschlossen wurde. Auch musste der Bebauungsplan seitens der Ortsgemeinde geändert werden, da ich ein Flachdach wollte mit Grasbewuchs und Photovoltaik, was im B-Plan nicht vorgesehen war. Dankbar bin ich der Gemeinde Rhaunen und deren Vertretern, die mich stets wohlwollend bei der Umsetzung unterstützt haben. Nicht verkennen darf man, dass die Planung und damit verbunden aller Papierkram auch Zeit und nicht unerheblich Mühen einem abverlangt. Hier muss man stets am Ball bleiben. Komisch war auch, dass gefühlt mein altes Haus immer leerer wurde und mein neues Heim sichtbar keinen Fortschritt machte, da das tiny-Haus in einer Einheit geliefert wird und nicht wie sonst üblich Bodenplatte, Rohbau etc. zu sehen sind. Das hat auch zu vielen Nachfragen aus meinem Umfeld geführt“.

In welchem Zeitraum haben Sie Ihr Vorhaben realisiert?

„Vom Entschluss bis zum Einzug sind 3 ½ Jahre vergangen. Nachdem ich wusste was ich wollte, habe ich nach Anbietern gesucht und den für mich passenden mit der Firma Schwörer gefunden. Nach erster Kontaktaufnahme konnte ich Probewohnen in einem flying space mit 50 m² Wohnfläche in Ermreuth. Es folgte der Grundstückskauf, ein Hausplan-Vorabzug, der Bauantrag wurde gestellt und erhielt zunächst keine Zustimmung wegen Flach- statt Satteldach. Somit wurde ein Verfahren zur Änderung des Bebauungsplans notwendig und im Februar 2022 erhielt ich die Baugenehmigung. Dann ging es ans „Eingemachte“ - die letztendliche Planung meines flying spaces. Die Lieferung meines Hauses erfolgte am 27.09.2023, und die Vorort-Arbeiten, wie Anschlüsse herstellen, wurden ausgeführt. Am 31.10.2023 fand die Hausübergabe statt. Mein altes Wohnhaus ist zwischenzeitlich verkauft dank glücklicher Fügung und bietet nun einer jungen Familie ein trautes Heim.“

Welches Fazit ziehen Sie?

„Sich „im Alter“ nochmal zu verändern bedarf Mut, Durchhaltevermögen und Zuversicht. Aber es war für mich die richtige Entscheidung, und ich bin an den Herausforderungen gewachsen. Das Leben im tiny-Haus kann ein nachhaltiges Leben in finanzieller, ökologischer und spiritueller Freiheit bedeuten. Denn weniger Platz führt zu weniger Konsum und so zu einem umweltschonenderen Lebensstil. Ich will es versuchen.“

Ganz herzlichen Dank an Heidi Jaenicke, dass wir ihren Weg zum etwas anderen Wohn(t)raum begleiten konnten, Sie uns spannende Einblicke gewährt und ihre gemachten Erfahrungen geteilt hat. Wir fanden das flying space großartig!

Das Interview führte Maren Hoffmann-Schmidt, Stabsstelle Standortentwicklung, VG Herrstein-Rhaunen

Wenn auch Sie Interesse an einem tiny-Haus/flying space haben, auf der Suche nach alternativen Wohnmöglichkeiten sind oder ebenso über ihren verwirklichten neuen Wohn(t)raum anderen berichten möchen nehmen, Sie gerne Kontakt mit uns auf. Telefonisch unter 06785/79-1108 oder per Mail m.hoffmann-schmidt@vg-hr.de

Eckdaten zum flying space in Rhaunen:

Schlüsselfertiges in modulbauweise hergestelltes Holzverbundhaus mit 60 m² Wohnfläche, Niedrigenergiehaus mit PV-Batterie, steht erhöht (50 cm hoch) zwecks Belüftung, auch erforderlich, da das Haus transportabel bleibt, Flachdach mit Dachbegrünung und Photovoltaik, Infrarot-Heizung,