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Nachrichtenblatt der VG Bodenheim
Ausgabe 35/2024
Amtlicher Teil
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EINLADUNG zur Verlegung von „Stolpersteinen“ am 11. September 2024 um 12.30 Uhr

Das „Stolpersteinprojekt“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig hat seit Jahren einen festen Platz in vielen Städten und Gemeinden Deutschlands. In Nackenheim sollen nach der ersten Verlegung im Mai 2023 nun erneut „Stolpersteine“ verlegt werden. Die sogenannten „Stolpersteine“ sind in Messing verkleidete Pflastersteine, die in den öffentlichen Gehwegen vor den Häusern von in der NS-Diktatur diskriminierter, verfolgter und ermordeter Menschen und ihrer Familie eingelassen werden. In den Messingplatten sind Namen, Geburts- und Sterbedaten der Verfolgten und ihrer Familien eingraviert. Sie erinnern somit an den letzten frei gewählten Wohnsitz oder auch den Geburtsort der Opfer des NS-Terrors und zeigen, dass der Nationalsozialismus auch vor Ort Spuren hinterlassen hat.

Das Projekt ist das größte dezentrale Denkmal weltweit, in mehr als 20 Ländern Europas liegen insgesamt über 90.000 „Stolpersteine“. Die Verlegung der Stolpersteine wurde vom Gemeinderat der Ortsgemeinde Nackenheim beschlossen und wird anteilig über Spenden finanziert.

Am 11. September 2024 um 12.30 Uhr

werden zunächst in der Mainzer Straße 6 und anschließend

in der Weinbergstraße 17

7 weitere solcher „Stolpersteine“ verlegt.

Im Anschluss an die Verlegung lädt die Gemeinde Nackenheim zu einem gemeinsamen Austausch vor dem Rathaus ein.

Mehr Informationen zur inhaltlichen Aufarbeitung finden Sie unter: www.nackenheim-im-nationalsozialismus.de

Wir freuen uns, wenn Sie als AnwohnerInnen und Interessierte an der Verlegung der „Stolpersteine“ teilnehmen.

Die Steine erinnern an die Familien Feiner und Hirschberg sowie an Henriette Klein (geb. Laubinger)

Die Familie Feiner aus Nackenheim

Die Geschichte der jüdischen Familie Feiner in Nackenheim beginnt wahrscheinlich in den 1880er Jahren. Am 7. Oktober 1885 heirateten hier Moritz Feiner und Henriette Hirsch, beide waren jüdisch. Moritz Feiner stammte aus Piaski Wielkie, einem Städtchen, das heute Teil Krakaus ist. Henriette Hirsch war in Schornsheim geboren, wohnte mit ihrer Familie aber bereits länger in Nackenheim, im Haus Im Winkel 5. Moritz Feiner war im Gewerberegister eingetragen als Häutehändler, Kurzwarenkrämer, Regenschirmhändler, Mäkler mit Immobilien und mit Landesprodukten und Tabakskrämer. Moritz und Henriette Feiner hatten fünf Kinder: Josef, Barbara, Sigmund, Maria und Rosa. Die Familie lebte in der Fischergasse 3, im Jahr 1899 kaufte sie das Haus Mainzer Straße 6. An dieser Stelle soll es um den ältesten Sohn Josef und dessen Familie gehen. Josef Feiner kam am 20. November 1886 in Nackenheim zur Welt. Seit 1911 arbeitete er als Kaufmann in einer Mainzer Herrenkleiderfabrik, später in führender Position. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg. Am 2. Juli 1924 heiratete er in Nackenheim die Modistin Amalie Meyer. Sie war am 12. Juli 1889 in Elsdorf im Rheinland geboren und führte in Mainz ein Hutgeschäft, dort lebte sie in der Schießgartenstraße 9. Mit der Hochzeit zog auch Josef Feiner von Nackenheim nach Mainz. Am 12. Mai 1925 kam dort die gemeinsame Tochter Ruth zur Welt. Die Familie wohnte in der Colmarstraße 14. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verloren viele Jüdinnen und Juden ihre Existenzgrundlagen, so auch die Familie Feiner. Die Herrenkleiderfabrik, in der Josef Feiner arbeitete, wurde „arisiert“ und auch Amalie musste ihr Geschäft aufgeben. Die Familie war gezwungen, ihr Haus in der Colmarstraße zu verkaufen und zog in die Kaiserstraße 11. Dort lebten sie kurze Zeit, bis sie in die Kaiserstraße 32 umziehen mussten. Ab 1937/38 war der reguläre Schulbesuch für Ruth Feiner als Jüdin wohl nicht mehr möglich. Wahrscheinlich wurde sie von ihren Eltern zur Schneiderin ausgebildet. Im Frühjahr 1942 wurde die Familie Feiner mit 467 anderen Mainzer Jüdinnen und Juden und weiteren Verfolgten nach Darmstadt deportiert. Von dort deportierten die Nationalsozialisten sie am 25. März 1942 ins polnische Piaski und ermordeten sie schließlich.

In der Colmarstraße in Mainz sind bereits Stolpersteine zu finden, die an Josef, Amalie und Ruth Feiner erinnern. Mit der Verlegung in der Mainzer Straße 6 in Nackenheim finden sich nun an einem gemeinsamen Ort die Stolpersteine der geflüchteten und ermordeten Geschwister Josef Feiners und ihrer Angehörigen.

Text: SchülerInnen der ehemaligen MSS11 des Gymnasium Nackenheim, Redaktion: Katharina Buchholz, Henri Bick

Familie Hirschberg

Max Hirschberg kam am 24. Juni 1911 in Nackenheim zur Welt. Seine Mutter war Rosa Feiner, geboren am 9. Oktober 1892 als Tochter des Nackenheimer Handelsmanns Moritz Feiner und seiner Frau Henriette. Max’ Vater Moses Hirschberg, Jahrgang 1887, stammte aus dem Städtchen Wormditt in Ostpreußen, er war Musketier und zu jener Zeit in Mainz stationiert. Moses, Rosa und Max waren Juden. Als Max auf die Welt kam, waren seine Eltern nicht verheiratet. Es sollte noch einige Jahre und einen Weltkrieg dauern, bis sie ihre Verbindung offiziell machten: Am 24. November 1917 heirateten sie in Nackenheim, Moses war vorher im Krieg und kehrte danach dorthin zurück. Rosa hatte inzwischen begonnen, als Bürogehilfin zu arbeiten. Wohl nach dem Ende seines Militärdienstes, im Dezember 1918, zog Moses Hirschberg zu seiner Frau und seinem Sohn nach Nackenheim. Sie wohnten in Rosas Elternhaus, der Mainzer Straße 6 – doch nicht lange. Bereits 1919/20 zog die Familie wohl nach Mainz. Die Verbindungen nach Nackenheim blieben gleichwohl eng. Schließlich lebte hier Verwandtschaft; und oft kam Max vorbei, um mit seinen Nackenheimer Freunden Fußball zu spielen. 1934 arbeitete er als Kaufmännischer Angestellter in einer Fabrik in Karlsruhe. Im Januar 1934 wurde er aus antisemitischen Gründen verhaftet und im Konzentrationslager Kislau interniert. Nach drei Monaten Haft kam er frei. 1937 flüchtete er nach Amerika, ein Jahr später folgten ihm seine Eltern. Die Flucht der Hirschbergs ist auf einer Liste im Nachlass Oppenheim des Stadtarchivs Mainz verzeichnet. Zeitzeugen berichten, dass Max Hirschberg nach Ende des Zweiten Weltkriegs als US-Soldat Nackenheim besuchte. Moses Hirschberg starb am 11. Oktober 1946 in New-York, seine Frau Rosa starb 22 Jahre später, am 9. November 1968, ebenfalls in New-York.

Text: SchülerInnen der ehemaligen MSS11 des Gymnasium Nackenheim, Redaktion: Katharina Buchholz, Henri Bick

Henriette Klein (geb. Laubinger)

Henriette Klein wurde am 5. Juni 1907 in Nackenheim, „im Haus des Paul Fey“ geboren. Paul Fey wohnte mit seiner Familie in der heutigen Weinbergstr. 17. Henriettes Familie gehörte der Volksgruppe der Sinti an, ihre Mutter war möglicherweise eigens für ihre bevorstehende Niederkunft auf dem Hof Paul Feys untergekommen. Damals stand zwischen dem Haus Fey und der Weinbergstraße 19, dort, wo sich heute eine Einfahrt befindet, ein kleines Häuschen. Nicht breit, aber langgezogen, einstöckig und ärmlich von Gestalt. Später hieß es in der Familie Fey nur „Kelterhaus“, doch damals war es wohl noch als Wohnung eingerichtet. In diesem kleinen Häuschen, so ist zu vermuten, kam Henriette Laubinger zur Welt. Sie reiste in ihrer Kindheit viel umher, in einem Wohnwagen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. In die Schule ging sie nie lange. Mit 17 Jahren kam sie ins Monikaheim in Frankfurt, eine geschlossene Erziehungsanstalt für schulentlassene Mädchen, aus der sie nach einem halben Jahr ausriss, um mit ihrem späteren Ehemann Gustav Adolf Klein zusammenzuleben.

Während der NS-Zeit wurde die Zwangssterilisierung als Methode zur systematischen Unterdrückung und Vernichtung von Minderheiten angewendet. Dabei wurden bei Angehörigen von Minderheiten angeblich erbliche Krankheiten diagnostiziert, die gemäß NS- Doktrin eine Unfruchtbarmachung erforderten. Im April 1937, Henriette Klein war gerade mit ihrem fünften Kind schwanger, stellte die „Abteilung Erb- und Rassenpflege“ des Gesundheitsamtes Wiesbaden den Antrag beim Erbgesundheitsgericht, sie unfruchtbar zu machen. In der Akte heißt es, sie leide unter „angeborenem Schwachsinn“. Die Diagnose gründete sich auf ihr „geringes Schul- und Lebenswissen“ und ihre „schwerfällige Urteilsfähigkeit“. Dies sei zum einen auf ihre mangelnde Schulbildung zurückzuführen, zum anderen „würde bei Vollsinnigkeit aber später das Bestreben zu Tage getreten sein, das Wissen zu erwerben und zu erweitern“. Hinzu kämen ihre „rassisch bedingten groben Charakterfehler“. Daher sei sie nicht nur unfruchtbar zu machen, auch sei „die Indikation zur Unterbrechung der bestehenden Schwangerschaft gegeben.“

Am 22. Juli 1937 erging das Urteil des Gerichts. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Henriette Kleins mangelndes Wissen sei durch ihre mangelnde Schulbildung bedingt, nicht erblich. Sieben Jahre später, Anfang April 1944 wurde Henriette Klein mit einem Großteil ihrer Familie und ihrer Kinder nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Text: SchülerInnen der ehemaligen MSS11 des Gymnasium Nackenheim, Redaktion: Katharina Buchholz, Henri Bick