mit Jagderlaubnis zur Abwendung ernster landwirtschaftlicher Schäden durch Saatkrähen-Vergrämungsabschuss in besonders betroffenen Bereichen der SGD Süd
Die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, Obere Naturschutzbehörde, erlässt folgende
Der Geltungsbereich dieser Allgemeinverfügung umfasst die landwirtschaftlichen Flächen in den Verbandsgemeindegebieten von Alzey-Land, Gau-Algesheim, Monsheim, Nieder-Olm, Rhein-Selz, Wonnegau, Wörrstadt sowie den Stadtgebieten von Alzey, Ingelheim, Mainz und Worms.
Die unter Nr. 3 genannte Ausnahme ist für Zuckerrüben ab dem 15. April bis einschließlich 10. Juni und für Kirschen ab dem 25. Mai bis einschließlich 31. Juli des Jahres 2025 gültig.
Personen, die innerhalb des unter Nr. 1 genannten räumlichen Geltungsbereichs jagdausübungsberechtigt sind oder über eine Jagderlaubnis verfügen, erhalten für die Vogelart Saatkrähe (Corvus frugilegus) die Ausnahmegenehmigung vom Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zum Zwecke der Saatkrähen-Vergrämung durch Vergrämungsabschuss. Die Genehmigung schließt die Verluste eines, vom erlegten Vogel ggfs. zu versorgendes Gelege mit ein.
Die sofortige Vollziehung der unter Nr. 3 genannten artenschutzrechtlichen Ausnahme sowie der untenstehenden Nebenbestimmungen a) bis h) wird angeordnet.
Diese Allgemeinverfügung wird am Tag nach ihrer Bekanntgabe wirksam. Sie gilt bis auf Widerruf.
Die unter Nr. 3 genannte Ausnahme ergeht – ergänzend zu den unter Nr. 1 und Nr. 2 genannten räumlichen und zeitlichen Beschränkungen – unter folgenden
| a) | Die Tötung einer Saatkrähe durch Vergrämungsabschuss darf nur erfolgen, wenn sich ein Saatkrähen-Schwarm von mind. 20 Vögeln auf oder über der betroffenen landwirtschaftlichen Fläche aufhält. |
| b) | Die Allgemeinverfügung gilt nicht im Bereich von Naturschutzgebieten (NSG), mit Ausnahme der NSGs „Höllenberg“, „Hangflächen südöstlich Heidesheim“, „Hangflächen um den Heidesheimer Weg“ und „Am Rothen Sand“ im Kreis Mainz-Bingen. |
| c) | Bei der gleichzeitigen Anwesenheit von nichtbrütenden Rabenkrähen (Corvus corone), sind diese prioritär zu entnehmen, wenn dadurch eine abschreckende Wirkung auf einen anwesenden Saatkrähenschwarm erzielt werden kann. |
| d) | Die Tötung einer Saatkrähe durch Vergrämungsabschuss darf nur erfolgen, soweit auf der betroffenen landwirtschaftlichen Fläche |
| • die Aussaat von Zuckerrüben bereits stattgefunden hat und die Mehrzahl der Keimlinge eine Wuchshöhe von 20 cm noch nicht erreicht hat, oder |
| • das Saatgut von Zuckerrüben von den Saatkrähen gefressen wird, bzw. |
| • die Früchte von Sonderkulturen (Kirschen) von den Saatkrähen gefressen werden. |
| e) | Die Anzahl der geschossenen Vögel ist auf ein Minimum zu begrenzen. Es darf pro Schlag die Anzahl von maximal zwei Tieren nicht überschritten werden. |
| f) | Zu Brutkolonien der Saatkrähe ist bei der Schussabgabe ein Mindestabstand von 500 m einzuhalten. Außerdem dürfen keine Vögel in einer Entfernung von weniger als 500 m von der Kolonie erlegt werden. |
| g) | Soweit ein Vergrämungsabschuss, der keine Saatkrähe getroffen hat, bereits den angestrebten Vergrämungseffekt erzielt, darf auf der betreffenden Fläche bis zu einer Rückkehr des Saatkrähen-Schwarms kein weiterer Vergrämungsabschuss durchgeführt werden. |
| h) | Der Einsatz des Vergrämungsabschusses ist der SGD Süd spätestens einen Tag vor der Durchführung unter Angabe des Jagdausübungsberechtigten, der Kultur, der Gemarkung und zu vergrämende Schläge mit Flurstücksnummer, sowie den zuvor erfolglos durchgeführten Vergrämungsmaßnahmen anzuzeigen. Hierzu ist unter https://sgdsued.rlp.de/service/downloadbereich/raumordnung-naturschutz-bauwesen ein Meldebogen herunterzuladen und ausgefüllt an artenschutz@sgdsued.rlp.de zu versenden. |
| i) | Die Anzahl der getöteten Saatkrähen sowie ggfs. Rabenkrähen durch Vergrämungsabschuss sind der SGD Süd, Obere Naturschutzbehörde, am jeweiligen Monatsende in Textform unter Angabe des Jagdausübungsberechtigten, der Kultur, der Gemarkung und zu vergrämende Schläge mit Flurstücksnummer, Datum und Uhrzeit des Vergrämungsabschusses zu melden. Die Meldung ist per E-Mail an artenschutz@sgdsued.rlp.de zu übermitteln. |
Hinweise:
| • | Diese Allgemeinverfügung richtet sich nicht an jedermann, sondern ausschließlich an Jagdausübungsberechtigte und berechtigte Personen mit Jagderlaubnis in den genannten Bereichen. |
| • | Diese Allgemeinverfügung betrifft ausschließlich die Vogelart Saatkrähe (Corvus frugilegus). |
| Diese Allgemeinverfügung bezieht sich ausschließlich auf die einschlägigen Bestimmungen des Naturschutzrechts. Eventuell erforderliche Genehmigungen z. B. nach dem Bundesjagdgesetz, dem Tierschutzgesetz oder dem Waffengesetz bleiben hiervon unberührt. |
| • | Ob ein bestimmtes Grundstück innerhalb eines Naturschutzgebiets (NSG) liegt, kann beim Daten- und Kartendienst LANIS unter https://geodaten.naturschutz.rlp.de/kartendienste_naturschutz/index.php eingesehen werden. |
| • | Diese Allgemeinverfügung einschließlich rechtlicher Begründung kann während der Öffnungszeiten der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, Friedrich-Ebert-Straße 14, 67433 Neustadt an der Weinstraße, bei der Oberen Naturschutzbehörde SGD Süd eingesehen werden. Außerdem wird die Allgemeinverfügung auf der Internetseite der SGD Süd (www.sgdsued.rlp.de) veröffentlicht. |
Durch Saatkrähen wurden im Zuständigkeitsbereich der SGD Süd in den vergangenen Jahren immer wieder ernste landwirtschaftliche Schäden verursacht. Die Saatkrähen-Vogelschwärme fraßen die frisch ausgebrachte Saat oder zogen gerade aufgegangene Keimlinge aus dem Boden. Weiterhin wurden Schäden an Sonderkulturen wie Kirschen verursacht, indem die Vögel die Früchte fraßen. Der Schwerpunkt der Schäden konzentriert sich auf die Landkreise Mainz-Bingen und Alzey-Worms sowie die Städte Mainz und Worms. Mit 2.582 ha Obstfläche, die von 925 Betrieben bewirtschaftet werden, befindet sich in Rheinhessen das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet in Rheinland-Pfalz. In besonderem Maße sind Süßkirschen, welche etwa 13 % der angebauten Obstarten ausmachen, in den Verbandsgemeinden Gau-Algesheim und Nieder-Olm sowie den Städten Mainz und Ingelheim am Rhein betroffen.
Die Schäden in den Verbandsgemeinden Nieder-Olm, Rhein-Selz, Alzey-Land, Wonnegau, Wörrstadt, Monsheim und der Stadt Alzey hängen hauptsächlich mit dem Zuckerrübenanbau zusammen. Auf 16.100 ha wurde im Jahre 2020 vor allem in Rheinhessen und der Pfalz ein Ertrag von 1,4 Mio. Tonnen Zuckerrüben erzielt. Der Zuckerrübenanbau umfasst etwa 4,2 % der Ackerflächen in Rheinland-Pfalz und ist aufgrund des relativ hohen Einkommensbeitrags bedeutend für die hier ansässigen Bauern.
Sobald auf einem Feld ernste landwirtschaftliche Schäden drohten oder eingetreten waren, hatten die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe bereits in der Vergangenheit die Möglichkeit, einen Einzel-Antrag auf artenschutzrechtliche Ausnahme zum Vergrämungsabschuss von Saatkrähen durch eine jagdausübungsberechtigte Person zu stellen. Hierdurch konnten einige Schäden erfolgreich abgewendet werden. Da die Prüfung aller Einzel-Anträge zu den jeweils betroffenen Flurstücken nicht unerheblichen Bearbeitungsaufwand in der Naturschutzverwaltung verursachte und einige Zeit in Anspruch genommen hat, konnten die Jagdausübungsberechtigten in einigen Fällen erst tätig werden, als ein Großteil des Schadens bereits eingetreten war.
Diese Allgemeinverfügung soll insbesondere dem Umstand gerecht werden, dass der exakte Ort von drohenden Saatkrähenschäden weder von den landwirtschaftlichen Betrieben noch von den Behörden flurstückscharf vorausgesehen werden kann. Durch die Allgemeinverfügung sollen zum einen rein präventive Einzelausnahmen - von denen später nie Gebrauch gemacht wird - vermieden werden. Zum anderen soll diese Allgemeinverfügung in dringenden Fällen ein schnelles Handeln zur Abwendung von ernsten landwirtschaftlichen Schäden ermöglichen.
Die vom Land anerkannten Naturschutzvereinigungen haben am 06.03.2025 einen Entwurf dieser Allgemeinverfügung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Bis zum 30.03.2025 sind sieben Stellungnahmen eingegangen.
Die Saatkrähe (Corvus frugilegus) ist in Anhang II Teil B der Richtlinie 2009/147/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten geführt, gehört damit zu den europäischen Vogelarten und ist nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 b) bb) i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 12 BNatSchG besonders geschützt. Für diese Art gelten somit die Vorschriften des besonderen Artenschutzes. Spezielle Regelungen im Jagdrecht bestehen für diese Art nicht.
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen, zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (Tötungsverbot).
Rechtsgrundlage für die artenschutzrechtliche Ausnahme ist § 45 Abs. 7 Nr.1 BNatSchG.
Demnach können die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden von den Verboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall Ausnahmen zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei- oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden zulassen. Eine Ausnahme darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert (vgl. § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG).
Die sachliche Zuständigkeit zum Vollzug des Naturschutzrechts liegt gemäß § 3 Abs. 1 BNatSchG bei der nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde. Nach § 2 Abs. 8 der Landesverordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege (NatSchZuVO) Rheinland-Pfalz vom 01. Juli 2022 (GVBl. S. 373) ist die Obere Naturschutzbehörde zuständig für die Anordnung von Allgemeinverfügungen nach § 44 Abs. 4 Satz 3 und 4 BNatSchG sowie Maßnahmen aufgrund einer Landesverordnung nach § 54 Abs. 10 Satz 1 BNatSchG. Gemäß § 10 NatSchZuVO obliegt der Oberen Naturschutzbehörde die Zuständigkeit für die Aufgaben des Artenschutzrechts nach § 45 Abs. 7 BNatSchG für besonders geschützte Arten, zu denen die Saatkrähe zählt.
Diese Entscheidung bezieht sich auf einen räumlich eng und konkret abgegrenzten Bereich, in dem aufgrund des dortigen Auftretens der Saatkrähen von einer besonderen Schadeneintrittswahrscheinlichkeit auszugehen ist. Es handelt sich somit um einen Einzelfall im Sinne von § 45 Abs. 7 S. 1 BNatSchG. Die Ausnahme in Form einer Allgemeinverfügung ist in Abgrenzung zur Zulassung einer Ausnahme allgemein durch Rechtsverordnung (vgl. § 45 Abs. 7 S. 4 BNatSchG) in diesem Fall statthaft.
Die Obstbauberatung des Dienstleistungszentrums ländlicher Raum (DLR) DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück berichtet von vermehrten Meldungen über gravierende Schäden in Erwerbsobstanlagen, die durch Rabenvögel verursacht werden. Als Verursacher werden besonders Schwärme von Saatkrähen beobachtet. Teilweise sind auch Jungvogelschwärme der Rabenkrähe beteiligt.
Zu den gravierendsten Schäden zählen Ernteverluste, die durch direkte Beschädigungen in Form von Komplettfraß bei Steinobst (z. B. Kirschen) und Pickschäden an den Früchten entstehen. Verkotung und Saftaustritt führen zu indirekten Schäden, da derart verschmutzte Früchte nicht lebensmitteltauglich sind. Zusätzlich erfahren verschmutzte Früchte eine erhöhte Disposition gegenüber Fruchtfäulepilzen und locken Wespen an. Die Ernte- und Sortierarbeiten werden dadurch erschwert und aufwändiger.
Die zu beobachtende erhöhte Individuenzahl der Krähenschwärme und die zunehmende Ansiedlung neuer Saatkrähenkolonien in der Region führen immer häufiger zu unzumutbarem wirtschaftlichen Schaden auf den Flächen betroffener Obstbetriebe. Die Konzentration der Saatkrähenschäden auf die Bereiche im Umland von Mainz bzw. südlicher Wonnegau dehnt sich inzwischen weiter in die Region aus. Aufgrund der Meldungen der Obstbaupraxis, den Beobachtungen der letzten Jahre und betrieblicher Einzelgutachten sind aus Sicht der Obstbauberatung ohne wirksame Gegenmaßnahmen enorme wirtschaftliche Schäden im Obstbau zu erwarten. In der Region Rheinhessen werden auf über 2.000 ha Obst angebaut. Allein über die Ernteverluste waren 2024 in einzelnen Obstbetrieben über 100.000 € Schaden entstanden. Für die gesamte Obstregion kann von einer Schadenssumme weit über 1 Million € für 2024 ausgegangen werden. Die Anzahl betroffener Betriebe steigt. Ohne wirksame Gegenmaßnahmen drohen den Obstbetrieben der Region wiederkehrende, zunehmende wirtschaftliche Schäden, die das Ausmaß der Existenzgefährdung erreichen. Einzelne Betriebe haben bereits mit vorzeitigen Baumrodungen reagiert. Eine Entschärfung der Situation ist offensichtlich nur über eine Erleichterung von Vergrämungsabschüssen zu erwarten.
Die Koordination Pflanzenschutz des DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück ist zudem zu der Einschätzung gelangt, dass durch Saatkrähen im Ackerbau und hier insbesondere bei den Zuckerrüben ernste landwirtschaftliche Schäden in der Region Rheinhessen (Landkreise Mainz-Bingen und Alzey-Worms) drohen. Die Einschätzung basiert auf den Erkenntnissen und Erfahrungen der Vorjahre und den Erhebungen im Meldeportal Vogelschäden. In Rheinhessen werden jährlich mehrere tausend Hektar mit Zuckerrüben bestellt, der Anbau ist aus ökonomischer Sicht in Rheinhessen eine wichtige Ackerkultur und Teil der Existenzgrundlage vieler landwirtschaftlicher Betriebe. Seitdem insektizide Saatgut-Beizmittel weggefallen sind, ist eine deutliche Zunahme des Herausreißens der Zuckerrüben-Keimlinge – insbesondere durch Saatkrähen – zu beobachten. Alternative Beizmittel wie Korit 420 FS (Wirkstoff Ziram) haben nur eine geringe Vergrämungswirkung auf die Vögel. In amtlichen Versuchen des LfL in Bayern wurden Wirkungsgrade von nur bis zu 20 % erzielt, die nicht ausreichend sind. Andere biologische Vergrämungsmittel, etwa auf Basis von Chili-Pulver oder Hopfenextrakten, konnten in Versuchen keine sichere Wirkung erzielen. Auch vorbeugende pflanzenbauliche Maßnahmen werden zur Vermeidung von Schäden eingesetzt, diese Verfahren sind aber ebenfalls nicht ausreichend wirksam. Ein zusätzlicher Warndienst wurde ebenfalls eingerichtet, um Landwirte frühzeitig auf drohende Schäden aufmerksam zu machen, was die Bedeutung dieser Problematik unterstreicht.
In den von der Allgemeinverfügung betroffenen Gebieten traten regelmäßig größere Saatkrähenschwärme auf, die erhebliche Fraßschäden verursachten. Die Beeinträchtigungen können von erheblichem Ausmaß sein und im schlimmsten Fall zu einem Totalausfall der Kulturen führen und somit zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlage der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe. Durch den Minderertrag (Vegetationszeitverlust) sowie den zusätzlichen Aufwand für Neubestellung und Bodenbearbeitung können Fraßschäden von etwa 200 – 800 € je Hektar Zuckerrüben entstehen, was für einzelne Betriebe mehrere Tausend Euro ausmachen kann. Regional und kulturabhängig drohen somit für einzelne landwirtschaftliche Betriebe ernste Schäden, die in ihrem Ausmaß auch einen gesamtwirtschaftlichen Schaden für die betroffenen Regionen darstellen können.
Neben dem Beizen des Saatguts haben die landwirtschaftlichen Betriebe in der Vergangenheit bereits verschiedene Alternativen wie Vogelscheuchen bis hin zu Knall-Apparaten getestet. Diese wiesen keine oder eine nur unzureichend geringe Wirksamkeit auf. Knall-Apparate, die regelmäßig laute Geräusche verursachen, können sich außerdem negativ auf lärmempfindlichere Vogelarten insbesondere während der Brutzeit auswirken. Im Obstbau erwiesen sich Knall-Apparate, aufgrund von Gewöhnungseffekten, als kaum noch wirksam. Hinzu kommt, dass diese Methode im Bereich des Vogelschutzgebiets DE-6014-401 „Dünen- und Sandgebiet Mainz-Ingelheim“ immissionsschutzrechtlich als nicht statthaft angesehen wird. Andere bekannte Alternativen, wie optische Vergrämung mit Drachen oder Flatterbändern sind ebenfalls wirkungslos. Die ständige Anwesenheit von Personen, die die Saatkrähen aktiv vertreiben, ist nicht zumutbar.
Selbst Einnetzungen, die bislang als sicherste Abwehrmaßnahme im Obstbau galten, werden von Krähen immer wieder überwunden. Teilweise finden sie Öffnungen, die sich an den Netzverbindungen vor allem nach Windereignissen bilden oder sie zerstören mit dem Schnabel punktuell das Schutznetz, um in die Einnetzung eindringen zu können. Dort wo Vergrämungsabschüsse in 2024 erwirkt und umgesetzt werden konnten, wurde zumindest eine temporäre Verbesserung erzielt.
Die landwirtschaftliche Beratung des DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück bestätigt, dass die bisher genannten Methoden unzureichend wirksam sind und wenn überhaupt, nur einen kleinen Erfolg beim Verhindern von Fraßschäden durch Vögel haben.
Die Saatkrähe gilt gemäß der aktuellen Roten Liste für Rheinland-Pfalz als ungefährdet. Für den Bereich der SGD Süd liegen aus den Jahren 2018 bis 2023 Saatkrähen-Zählungen vor (Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie e.V. (GNOR): Vogelmonitoring in Rheinland-Pfalz Heft 5, 2024). Hieraus geht hervor, dass sich die Saatkrähen-Population insbesondere in Rheinhessen auf hohem Niveau stabil bis tendenziell ansteigend entwickelt. Die Staatliche Vogelschutzwarte Rheinland-Pfalz kommt zu dem Ergebnis, dass die Tötung einzelner Saatkrähen durch den Vergrämungsabschuss nicht zu einer Verschlechterung des aktuellen Erhaltungszustandes der Saatkrähenpopulation im Gebiet der SGD Süd führen wird. Die Nebenbestimmungen a), c), e), f) und g) stellen sicher, dass eine Verschlechterung des Erhaltungszustands der lokalen Populationen verhindert wird.
Durch die Festlegung einer Mindestgröße für den Saatkrähen-Schwarm wird sichergestellt, dass eine Tötung nur in großen lokalen Populationen erfolgt, in denen der Verlust eines einzelnen Individuums keine gefährdenden Auswirkungen auf die Gesamtpopulation hat. Die Tötung von Einzeltieren findet jedoch in einem Zeitraum statt, in dem die Tiere bereits einer Bruttätigkeit nachgehen und ggfs. bereits Nestlinge aufziehen. Daher wurde die Anzahl der zu entnehmenden Tiere auf ein Minimum begrenzt, so dass weitere Beeinträchtigungen der lokalen Populationen nicht zu erwarten sind. Zudem sind bei gleichzeitiger Anwesenheit nichtbrütender Rabenkrähen (Junggesellenschwärme) vorzugsweise diese für den gewünschten Vergrämungseffekt zu entnehmen, da sich nicht geschlechtsreife Jungvögel, aber auch Individuen aller Altersklassen der Rabenkrähe, in Nichtbrüter-Schwärmen zusammenfinden. Dies stellt sicher, dass die entnommenen Individuen nicht in Brutaktivitäten involviert sind, wodurch eine Entnahme von Tieren mit Gelegen oder Jungvögeln verhindert werden soll und rückwirkend auch das Gelege der Saatkrähe geschützt wird.
Durch die Beschränkung auf einen erfolgreichen Vergrämungsabschuss pro Fläche bis zur erneuten Rückkehr des Schwarms auf diese Fläche wird eine Verschlechterung des aktuellen Erhaltungszustands vermieden.
Durch die Befristung der Geltungszeit vom 15. April bis 10. Juni bzw. 25. Mai bis 31. Juli 2025 ist sichergestellt, dass der Einfluss dieser Allgemeinverfügung auf den Erhaltungszustand zeitlich begrenzt ist. Weiterhin wird eine zeitnahe Neubeurteilungsmöglichkeit des Erhaltungszustands im Vorfeld etwaiger Folgeentscheidungen sichergestellt.
Diese Allgemeinverfügung widerspricht nicht der europarechtlichen Vorgabe an die Mitgliedsstaaten, Methoden zu untersagen, mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können (vgl. Art. 8 Richtlinie 2009/147/EG). Beim gezielten Vergrämungsabschuss durch Jagdausübungsberechtigte und berechtigte Personen mit Jagderlaubnis handelt es sich um eine selektive Methode der Tötung. Es dürfen ausschließlich Saatkrähen auf Zuckerrübenäckern bzw. Kirschenplantagen im begrenzten Umfang und in Zeiträumen, in denen sie ernste landwirtschaftliche Schäden verursachen, zur Vergrämung von Schwärmen erlegt werden. Zudem sind die Entnahmen anzuzeigen. Es ist ausgeschlossen, dass Vögel wahllos oder in übermäßigen Mengen getötet werden.
Gegenüber der EU-Kommission bestehen außerdem Berichtspflichten, wonach die Genehmigungsbehörde mitzuteilen hat, wie viele Exemplare aufgrund der artenschutzrechtlichen Ausnahme getötet wurden. Um der Berichtspflicht nachkommen zu können, ist die Meldung von getöteten Saatkrähen gemäß Nebenbestimmung h) erforderlich. Diese Rückmeldungen sind außerdem für die Naturschutzverwaltung hilfreich, um die Auswirkungen des Vergrämungsabschusses auf die Saatkrähenbestände naturschutzfachlich beobachten zu können (Monitoring der Abschusszahlen) und den Bedarf an artenschutzrechtlichen Ausnahmen für künftige Jahre abschätzen zu können.
Im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung befinden sich Teile der FFH-Gebiete „Kalkflugsandgebiet Mainz-Ingelheim“, „Rheinniederung Mainz-Bingen“, „Ober-Olmer Wald“, „Laubenheimer-Bodenheimer Ried“ und „Rheinniederung zwischen Gimbsheim und Oppenheim“. Diese Allgemeinverfügung ist nicht geeignet, diese FFH-Gebiete in ihren für ihre jeweiligen Erhaltungsziele und Schutzzwecke maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen.
Im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung befinden sich Teile der Vogelschutzgebiete „Dünen- und Sandgebiet Mainz-Ingelheim“, „Rheinaue Bingen-Ingelheim“, „Ober-Hilbersheimer Plateau“, „Selztal zwischen Hahnheim und Ingelheim“, „Schilfgebiete zwischen Gimbsheim und Oppenheim inklusive Fischsee“, „Höllenbrand“ und „Ackerplateau zwischen Ilbesheim und Flomborn“. Die Saatkrähe gehört nicht zu den Vogelarten, für die in diesen Vogelschutzgebieten spezifische Schutz- und Erhaltungsziele formuliert sind. Eine unbeabsichtigte indirekte erhebliche Beeinträchtigung anderer Vogelarten durch die akustischen Auswirkungen der Vergrämungsabschüsse ist aufgrund der – auch durch die Nebenbestimmungen definierten – Projekteigenschaften ebenfalls ausgeschlossen. Störungen, die durch diese Allgemeinverfügung hervorgerufen werden können, treten örtlich nur punktuell und vereinzelt auf. Sie haben weiterhin einen äußerst kurzfristigen Charakter, sodass sie nicht geeignet sind, erhebliche Auswirkungen auf die anderen Vogelarten hervorzurufen.
Eine erhebliche Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten ist aufgrund der Projekteigenschaften somit auszuschließen.
Naturschutzgebiete sind wichtige Rückzugsorte für wildlebende Tierarten, wonach es gemäß den geltenden Verordnungen verboten ist, wildlebenden Tieren nachzustellen oder sie zu töten. Der Geltungsbereich dieser artenschutzrechtlichen Ausnahme nimmt vor diesem Hintergrund die Naturschutzgebiete aus.
Allerdings erfordert die Lage der Naturschutzgebiete „Höllenberg“, „Hangflächen südöstlich Heidesheim“, „Hangflächen um den Heidesheimer Weg“ und „Am Rothen Sand“ eine gesonderte Vorgehensweise. Die dort ansässigen Obstbauern bewirtschaften einen großen Anteil der Flächen, wie zum Beispiel im Naturschutzgebiet „Höllenberg“, in dem auf 64 % der Gesamtfläche konventioneller Obstanbau betrieben wird. Des Weiteren beinhalten die Rechtsverordnungen Schutzzwecke, die den Erhalt und die Entwicklung der charakteristischen obstbaulich genutzten Flächen und Streuobstwiesen festlegt. Streuobstwiesen stellen einen wertvollen Bestandteil einer artenreichen Kulturlandschaft dar und ihr Erhalt dient einer Vielzahl geschützter Tierarten.
Da die Schutzmaßnahmen der letzten Jahre, wie z. B. das Einnetzen, nur unzureichend Abhilfe geschaffen haben und Knall-Apparate aufgrund des Vogelschutzgebietes nicht eingesetzt werden konnten, dient die Ausnahme der aufgelisteten Naturschutzgebiete der Abwendung ernster landwirtschaftlicher Schäden der dort ansässigen Obstbauern.
Die artenschutzrechtliche Ausnahme ist durch den erzielten Vergrämungseffekt geeignet, ernste landwirtschaftliche Schäden zu vermeiden bzw. das Ausmaß der Schäden erheblich zu verringern. Sie ist erforderlich, da andere Vergrämungsmaßnahmen bislang erfolglos blieben. Andere alternative Maßnahmen zur Schadensvermeidung mit geringfügigeren Auswirkungen auf einzelne Saatkrähen-Individuen sind nicht ausreichend wirksam oder nicht zumutbar. Ohne eine Ausnahme ist mit einem Schadenseintritt erheblichen Ausmaßes zu rechnen. Vor dem Hintergrund stabiler bis tendenziell ansteigender Saatkrähen-Populationen im Zuständigkeitsbereich der SGD Süd und dem ungefährdeten Erhaltungszustand im Land Rheinland-Pfalz kann mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden, dass diese artenschutzrechtliche Ausnahme vom Tötungsverbot nicht dazu führt, dass sich der Erhaltungszustand der Saatkrähen-Populationen verschlechtern wird. Das Interesse an der Abwendung ernster landwirtschaftlicher Schäden überwiegt das Interesse an der Durchsetzung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots. Es ist daher angemessen, die Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot hinsichtlich der Art Saatkrähe zuzulassen.
Den vom Land anerkannten Naturschutzvereinigungen, die nach ihrer Satzung landesweit tätig sind, ist vor der Zulassung von Ausnahmen durch Allgemeinverfügung nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG die Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben (vgl. § 63 Abs. 2 Nr. 4b) BNatSchG). Zu diesem Zweck haben die Naturschutzvereinigungen am 06.03.2025 einen Entwurf dieser Allgemeinverfügung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die bis zum 30.03.2025 eingegangenen Stellungnahmen sind bei dieser Entscheidung berücksichtigt. GNOR, NABU, Pollichia und der BUND haben in einer Sammelstellungnahme Bedenken gegen die Allgemeinverfügung geäußert. Wegen der artenschutzrechtlich relevanten Einlassungen der genannten Naturschutzvereinigungen zum Elterntierschutz, der maximalen Anzahl der erlegten Vögel, die zeitliche Differenzierung des Geltungszeitraumes der Allgemeinverfügung sowie einer Beschränkung der Verfügung auf die Kulturen Zuckerrüben und Kirschen, wurde die Allgemeinverfügung entsprechend ergänzt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der artenschutzrechtlichen Ausnahme erfolgt nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs. Nur bei Anordnung der sofortigen Vollziehung der artenschutzrechtlichen Ausnahme können jagdausübungsberechtigte Personen und berechtigte Personen mit Jagderlaubnis als Adressaten der Allgemeinverfügung davon ausgehen, dass die Vollziehbarkeit der Ausnahme vorliegt. Es ist erforderlich, dass für den Adressatenkreis Rechtssicherheit besteht, dass die artenschutzrechtliche Ausnahme vollziehbar ist. Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse der Adressaten die Interessen eines Dritten an einer aufschiebenden Wirkung eines möglichen Rechtsbehelfs. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der artenschutzrechtlichen Ausnahme ist insgesamt angemessen.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nebenbestimmungen zur artenschutzrechtlichen Ausnahme erfolgt im öffentlichen Interesse nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Nebenbestimmungen. Die Nebenbestimmungen sind erforderlich, um die Rechtmäßigkeit der artenschutzrechtlichen Ausnahme sicherzustellen. Ihre Vollziehbarkeit ist zur Gewährleistung, dass sich der Erhaltungszustand der Saatkrähen-Populationen nicht verschlechtert und die vorgeschriebenen Meldepflichten gegenüber der EU-Kommission erfüllt werden können, erforderlich. Würde eine Nebenbestimmung durch einen Adressaten angefochten werden und der Rechtsbehelf eine aufschiebende Wirkung entfalten, würde dies zur Vollziehbarkeit der dann unbeschränkten artenschutzrechtlichen Ausnahme führen. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Saatkrähen-Populationen kann ohne die Nebenbestimmungen jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund überwiegt das öffentliche Interesse des Artenschutzes die Interessen der Adressaten an einer aufschiebenden Wirkung eines möglichen Rechtsbehelfs gegen die Nebenbestimmungen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nebenbestimmungen zur artenschutzrechtlichen Ausnahme ist insgesamt angemessen.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, Friedrich-Ebert-Straße 14, 67433 Neustadt an der Weinstraße oder Postfach 10 02 62, 67402 Neustadt an der Weinstraße schriftlich, in elektronischer Form nach § 3 a Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift erhoben werden.
Wichtiger Hinweis:
Bei der Verwendung der elektronischen Form sind besondere technische Rahmenbedingungen zu beachten, die auf der Homepage der SGD Süd unter https://sgdsued.rlp.de/de/service/elektronische-kommunikation/ aufgeführt sind.
Weiterer Hinweis:
Aufgrund der Anordnung des Sofortvollzugs entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs.
Es kann diesbezüglich ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des erhobenen Widerspruchs beim Gericht der Hauptsache gestellt werden.