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Nachrichtenblatt Wöllstein aktuell
Ausgabe 22/2025
Seite 5
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Ansprache zur feierlichen Einweihung des renovierten Verwaltungsgebäudes der Verbandsgemeinde Wöllstein

Vor wenigen Wochen hatte der Kreis Alzey-Worms zu einer Regionalkonferenz eingeladen, um zu erfahren, welche Themen oder Projekte seitens der Bürgerinnen und Bürger als wichtig bzw. vordringlich erachtet würden. Mit vielen Klebepunkten wurden ca. 30 ausgewählte Bereiche „geclustert“, um danach festzustellen, dass eigentlich alles wichtig sei. Nur ein einziges Thema fiel aus dieser Reihe heraus, weil es signifikant weniger Punkte erhalten hatte als alle anderen: „Wie wichtig ist für Sie der Denkmalschutz?“ Warum wird das als so „wenig wichtig“ erachtet? Verbinden wir es mit „jede Menge (teilweise schwer nachvollziehbare) Auflagen“, mit Bauverzögerung und mit erheblichen Mehrkosten? Kennen wir dafür nicht aus dem Privatbereich oder unseren Kommunen das ein oder andere Beispiel?

Es wäre mehr als schade, wenn wir Denkmalschutz darauf reduzieren würden. Er ist wichtig!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Ehrengäste dieser heutigen Feierstunde,

auch ich möchte Sie hier / heute anlässlich der offiziellen Inbetriebnahme des Verwaltungsgebäudes der Verbandsgemeinde Wöllstein herzlich willkommen heißen.

Ich freue mich und es ist mir eine große Ehre, dass ich Ihnen dazu ein paar Gedanken zur Historie dieses Gebäudes näher bringen darf und möchte dies mit einem Appell an unser aller Geschichtsverständnis und die Verantwortung zur Wahrung von Erinnerung verbinden.

Wird man selbst älter, wandelt sich oftmals auch das eigene Bewusstsein für die Bedeutung von Geschichte, besonders auch für die Historie der eigenen Region, denn darin erkennen wir plötzlich Zusammenhänge so vieler Dinge, die ohne den historischen Hintergrund unverbunden erschienen. Und vielleicht verstehen wir auch dann erst, warum etwas so ist, wie es ist, und wie dies auch unsere Gegenwart noch immer mitbestimmt. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“ (Helmut Kohl, Bundestagsrede vom 1. Juni 1995).

Überall umgibt uns Geschichte - in der Gegenwart, in unserem Heimatraum.

Mit Staunen sehen wir das über 30 Millionen Jahre alte Kliff in Eckelsheim aus einem geologischen Zeitalter, das das „Terroir“ unsere heutigen Weine noch immer beeinflusst;

Mit Stolz blicken wir auf steinzeitliche Funde der Gemarkung, wie die rund 6.000 Jahre alte Siefersheimer Hirschgeweihhacke, die im Alzeyer Museum präsentiert wird;

Mit Begeisterung feiern wir Römertage, deren Alltag von vor knapp 2000 Jahren in vielen Fundstätten unmittelbar unter unseren Füßen liegt;

Mit Ehrfurcht werden in der Ruine der 500 Jahre alten Beller Kirche noch heute ökumenische Gottesdienste oder Trauungen vollzogen;

Mit Entsetzen und Trauer blicken wir auf die Zeit vor gerade mal 80 Jahren und verlegen Stolpersteine zum Gedenken an Menschen, deren Schicksale auch in diesem Gebäude (!) entschieden wurden.

Denn dieses (heutige) Verwaltungsgebäude war ursprünglich der Sitz des regionalen Amtsgerichtes und in der Zeit der Nazidiktatur ebenfalls „gleichgeschaltet“, wie seinerzeit alle staatlichen Institutionen.

Damit nun zur Geschichte dieses altehrwürdigen Gebäudes, das eines der herausragenden Baudenkmäler unserer Verbandsgemeinde ist.

Das kleine Städtchen Wöllstein, das urkundlich erstmals als „Welthistein“ 855 im Lorscher Codex erwähnt wird, war historisch an der Kreuzung überregionaler Handelswege gelegen. Damit war Wöllstein im Laufe seiner Geschichte wohl immer schon ein zentraler Ort für die Region. Er fungierte als ein „Grundzentrum“, wie es die Kulturgeografen definieren, also ein Ort, der zentrale Einrichtungen zur Grundversorgung der Einwohner aus dem Umland vorhält.

Belegt ist, dass Wöllstein in der sogenannten „französischen Zeit“ (1798 bis 1835) Hauptort und Verwaltungssitz von 23 Dörfern des Kantons Wöllstein im Département Mont Tonnère (Donnersberg) war. 1798 wurde hier ein Friedensgericht eingerichtet, das dann ab 1879 (bis 1975) als Amtsgericht weitergeführt wurde.

Einen besonderen Aufschwung erfuhr der Ort durch die Anbindung an das Schienennetz der Bahn mit dem Bau der Nebenstrecke Sprendlingen-Wöllstein und Errichtung eines Stationshauses (1887-88). Zehn Jahre später wird diese Strecke über Neu-Bamberg und Frei-Laubersheim bis Fürfeld ausgebaut. Diese Trasse des „Bawettche“, wie die Bahn liebevoll genannt wird, ist heute als Fahrrad- und Wanderweg im Appelbachtal ausgebaut, denn ab 1959 verkehrten dort keine Züge mehr. Auch die Strecke Wöllstein-Sprendlingen, die damals weiterhin noch für den Güterverkehr genutzt wurde, stellte 1973 den Betrieb ein.

Mit dem Bau der Bahnstrecke, die am damaligen süd-östlichen Ortsrand verlief, ging auch die Erweiterung Wöllsteins um die Bahnhof- und Villastraße einher. Hier entstand um die Jahrhundertwende eine Vielzahl repräsentativer, privater Gebäude.

Als Standort eines der elf rheinhessischen Amtsgerichte, entschloss man sich in Wöllstein zu diesem Zweck in der Bahnhofstraße einen Neubau zu errichten. Den hoheitlichen Aufgaben entsprechend sollte es ein würdiges Amtsgebäude werden, geradezu „staatstragend“ im Vergleich zur umgebenden gründerzeitlichen Bebauung.

Und natürlich stieß man in der Baugrube auch auf römische, und darunter liegende steinzeitliche Funde. (Man erhoffte sich eine genauere Datierung der Gründung Wöllsteins, denn auf einer römischen Münze stand das Prägedatum 43 v.Chr., leider erwies sie sich als Fälschung.)

Ursprünglich setzte das Großherzogliche Hochbauamt in Mainz die Wünsche der Wöllsteiner in seinen ersten Plänen weitestgehend um. Doch schon kurz nach dem Beginn der Tiefbauarbeiten wurden diese Entwürfe (wenn auch auf gleichem Grundriss) aus Kostengründen durch das Bautechnische Bureau des Großherzoglichen Ministeriums der Finanzen in Darmstadt völlig umgearbeitet. Unverändert blieb dagegen der Plan zum Bau eines Gefängnisses auf dem gleichen Gelände, architektonisch passend zum Hauptgebäude.

Von den veranschlagten Kosten von 167.000 Mark hatte die Gemeinde Wöllstein 20.000 (also nur etwa 12%) selbst zu tragen.

Vielleicht werden wir über die aktuellen Baukosten heute auch noch einiges hören, aber ich möchte hier mal einen historischen Vergleich wagen:

Ich zitiere dazu aus einer Verfügung des großherzoglichen Ministeriums des Inneren (vom 18.12.1902) zur Beller Kirche: „Die Ruine ist der … wohlerhaltene Rest einer künstlerisch hervorragenden Wallfahrtskapelle ... in bedeutender Dimension“ und es sei geboten, die „… Ruine dauernd zu sichern.“ Nachdem sich die Gemeinde bereit erklärt hatte, einen Beitrag von 60 Mark zu den zu 280 Mark veranschlagten Kosten zu leisten, bewilligte der Staat 1905 die Summe von 220 Mark. Immerhin! Der Staat übernahm fast 80% der Kosten für den Denkmalschutz.

Vor allem wenn man bedenkt, dass knapp 100 Jahre zuvor die Gemeinde Eckelsheim noch ermächtigt wurde, die Ruine abzureißen und die Steine für den Neubau eines Pfarrhauses zu verwenden. (Wozu es aber zum Glück nicht kam).

Doch zurück zum altehrwürdigen Amtsgericht.

Im Frühjahr 1904 konnten die neu erbauten Räumlichkeiten bezogen werden – ja, auch das Gefängnis ...

In der Ausgabe vom 17. Juni 1908 des Zentralblatt der Bauverwaltung werden das neue Amtsgericht und Gefängnis in Wöllstein vom Großherzoglichen Bauinspektor Kube fachmännisch beschrieben:

„Das Amtsgerichtsgebäude ist als Backsteinputzbau ausgeführt. Nur die Sockelverkleidung, die Tür- und Fensterrahmungen der drei Schauseiten und die übrigen Architekturteile sind aus Alsenzer (Pfälzer) Sandstein von grau-gelber Farbe“, mit Sandsteingliederung in spätgotischen und Renaissance-Formen. „Die unterste Sockelschicht, die äußeren Treppen, Schwellen und Einfassungen sowie die Kellertreppen sind aus rheinischer Basaltlava.“

(Vgl.: Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Kreis Alzey-Worms, 2021, Band 20.4, S.96f)

In diesem offiziellen Bauamtsblatt wird neben der Beschreibung der äußeren Erscheinung auch die Raumaufteilung in ihrer jeweiligen Funktion detailliert erläutert. „Im Erdgeschoss (sind) die eigentlichen Amtsräume untergebracht. Links von dem Eingange und der zum Schöffensaal führenden Haupttreppe (aus Odenwaldgranit) befinden sich die Registratur, das Assessoren-, das Referendar- und das Amtsrichterzimmer, die Gerichtsschreiberei und das Zimmer des Aktuars, ferner der Abort für die höheren Beamten und die Holztreppe zu der Amtsrichterwohnung im Obergeschoss.“

Die Raumaufteilung spiegelt die strengen Hierarchien des damaligen Verwaltungssystems bis in den Bereich der Toiletten hinein. Denn auf der rechten Seite des Erdgeschosses, wo sich beispielsweise die Zimmer des Amtsgerichtsdieners, das Wartezimmer, das „Offenlegungszimmer“ oder der feuersichere Grundbuchaktenraum befanden, waren die sogenannten „Dienstaborte“!

Auch zwei Wohnungen befanden sich im Gebäude. Im Kellergeschoss lebte der Gerichtsdiener, der auch Hausmeisterfunktionen hatte. Im 1. Stock residierte auf 60% der gesamten Geschossfläche der dienstaufsichtführende Richter in einer 7-Zimmer-Wohnung!

Der Gefängnisbau war im Äußeren dem Amtsgericht angepasst. (Auf Postkarten aus dem frühen 20. Jh. kann man das harmonische Gebäudeensemble noch sehen.) Im Erdgeschoss hatte der Gefangenenwärter seine 3-Zimmer-Dienstwohnung. Für die Häftlinge befanden sich im Obergeschoss vier Einzel- und zwei Gemeinschafts- bzw. Doppelzellen.

Das Eingangstor zum Gelände des Gefängnisses, dem Haftlokal, wie es amtsoffziell 1908 hieß, steht noch heute auf der Rückseite des Verwaltungsgebäudes. (Übrigens: Das „Bollesje“, wie die Rheinhessen manchmal zu „Gefängnis“ sagen, war dagegen nur eine einzelne Zelle in der Polizeistation.)

Das Ende des Gefängnisbaus kam mit dem Vorrücken amerikanischer Einheiten aus Richtung Bad Kreuznach, die den Ort vom 16. bis 19. März 1945 massiv angriffen. In den Heeresberichten soll von diesen Kämpfen als „Panzerschlacht bei Wöllstein“ berichtet worden sein. Zudem fielen auch einzelne schwere Bomben auf Wöllstein, vor allem im Bereich der Bahnstrecke. Zu den vielen in diesen Gefechten zerstörten Gebäuden gehörten die Schule in der Ernst-Ludwig-Straße und auch das dahinter liegende Gefängnis.

Das Amtsgerichtsgebäude wies dagegen glücklicherweise keine schwereren Kriegsschäden an der Bausubstanz auf.

Die „Verwaltungsvereinfachung“ in Rheinland-Pfalz vom 16. Juli 1968 war Grundlage und Auslöser für eine groß angelegte Gebiets- und Verwaltungsreform. Im April 1972 entstand aus Teilen der Landkreise Alzey und Worms der neue Landkreis Alzey-Worms und im Zuge dessen erfolgte auch die Gründung der Verbandsgemeinden. Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Justizministerium in Mainz wurde erreicht, dass der Verbandsgemeinde Wöllstein Büroräume im 1. Obergeschoss des Amtsgerichtsgebäudes zur Verfügung gestellt wurden. Durch die Auflösung des Amtsgerichts Wöllstein im Jahr 1974 konnte die Verbandsgemeinde das gesamte Gebäude vom Land erwerben. Damit waren die anfänglichen räumlichen Schwierigkeiten behoben. Der Verbandsgemeinderat, der zunächst in der Aula der Volksschule tagte, konnte nun ebenfalls in die Bahnhofstraße umziehen. Durch Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten erstrahlte das repräsentative Gebäude schon bald wieder in neuem Glanz und wurde zu einer Bereicherung des Ortsbildes von Wöllstein.

Die Reste der Gefängnisruine wurden im Zuge dieser Maßnahmen gänzlich abgerissen.

(Ein Neubau erfolgte erst 30 Jahre später in Wöllstein/Rohrbach.)

Über vier Jahrzehnte hinweg diente das historische Gebäude seinem neuen Zweck, bis 2015 deutlich wurde, dass erneut eine umfangreiche Sanierung anstand. Schnell erkannte man, dass der Umfang dieser Arbeiten es nötig machen würde, den operativen Verwaltungssitz der Verbandsgemeinde zeitweise in andere Räumlichkeiten auszulagern. So zog denn im Sommer 2019 die gesamte Belegschaft in das neuerbaute und funktionale „Wißbergforum“ nach Gau-Bickelheim um.

Dass eine grundlegende Kernsanierung unumgänglich war, stand für alle Beteiligten außer Frage. Aber erst nachdem die besonderen Anforderungen zu Brand- und Denkmalschutz, Inklusion, Nachhaltigkeit und Klimazielen, die von verschiedenen Landesbehörden geltend gemacht wurden, in die Planungsunterlagen eingearbeitet waren, gab es seitens des zuständigen Ministeriums die Bewilligung einer Landeszuwendung in Höhe von rund 60% der geplanten Baukosten. Dies bedeutet heute die höchstmögliche Förderung, die das Land einer solchen Maßnahme gewähren kann. So gab denn auch der Rat „grünes Licht“ und die Bauarbeiten konnten beginnen. Seit Ende 2024 sind diese nun weitestgehend abgeschlossen, sodass Rat und Verwaltung wieder in ihr altes/neues Domizil einziehen konnten.

Mit einem gewissen berechtigten Stolz wird uns nun heute dieses Wöllsteiner „Schmuckkästchen“ präsentiert.

Aber wie auch bei allen anderen Schmuckkästchen: es ist und bleibt nur die Hülle. Das eigentlich Wertvolle ist der Inhalt!

Und so wünsche ich mir, stellvertretend für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Verbandsgemeinde, hier eine bürgernahe Verwaltung, die sich im konstruktiven Miteinander mit Kompetenz und Empathie für die Belange der Gemeinschaft einsetzt, damit dieses Schmuckkästchen auch vom Inneren heraus strahlen kann.

(Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.)

Gerhard Hoffmann