1999 trafen sich ein Dutzend Interessierte in Wonsheim mit der Idee, einen Heinrich Bechtolsheimer Freundeskreis zu gründen. Zielsetzung, Romane und Erzählungen von Heinrich Bechtolsheimer neu aufzulegen und durch Lesungen und Veranstaltungen seinen Bekanntheitsgrad über Rheinhessen hinaus zu fördern. Auch Kinder und Jugendliche sollten mit eigenen Veranstaltungen dabei berücksichtigt, gemeinsam mit ihnen Freude am Lesen entwickelt werden.
Anlass auch, die bis dahin nur als Fortsetzungsroman in der Gießener Kirchenzeitung erschienene Erzählung „Ein pfälzischer Musikant“ aufzulegen und in Buchform den Lesern zugänglich zu machen.
Der Text des Romans lag zu diesem Zeitpunkt nur als Wachsmatrize vor, die Herrn Galle aus Alzey Wilhelm Haupt zum Zweck der Veröffentlichung übergeben hatte. Neu erfasst, von der Rheinhessischen Druckwerkstätte in Alzey gedruckt und herausgegeben, erschien dieses Buch 2010 (Nachdruck: Heinrich Bechtolsheimer Kreis 2024). Es folgte 2012 „Rheinhessisches Land und rheinische Leute“ und nun rechtzeitig zum 25. Jubiläum des Heinrich Bechtolsheimer Kreises die Neuauflage des völlig vergriffenen Romans „Das Hungerjahr“.
Wer ist dieser Heinrich Bechtolsheimer und warum sollte man ihn auch heute noch lesen?
Heinrich Bechtolsheimer - Ein präziser Chronist Bechtolsheimer wird am 29. Oktober 1868 in Wonsheim geboren und wächst im Lehrerhaus als ältestes von fünf Kindern in ländlicher Umgebung auf. Er lernt früh den Umgang mit der bäuerlichen Arbeit kennen. Das prägt in erheblichem Maße seine Heimatverbundenheit. In Bad Kreuznach macht er sein Abitur, studiert in Gießen Theologie. Nachdem Bechtolsheimer seine Militärzeit in Mainz absolviert hat, übernimmt er 1895 als evangelischer Pfarrer die Landpfarrei Mainz. Zusammen mit seiner Frau und Tochter verlässt er 1908 Mainz und wechselt in das Pfarramt der Lukasgemeinde Gießen.
Nach seinem Ruhestand 1938 lebt Bechtolsheimer bei seiner Tochter in Hannover und stirbt dort 1950 mit 81 Jahren. Seine letzte Ruhestätte findet er auf eigenen Wunsch in seinem Geburtsort Wonsheim.
Als Schriftsteller zeichnen Heinrich Bechtolsheimer seine detaillierten Beschreibungen der fruchtbaren rheinhessischen und pfälzischen Hügellandschaft aus. Er stellt die charakteristischen Wesenszüge und Lebensgewohnheiten seiner Bewohner dar. Bechtolsheimer ist ein feinfühliger, christlich geprägter Chronist, Literat, Historiker und Theologe.
Sein erste große Erzählung „Zwischen Rhein und Donnersberg“ entsteht 1903. Ein Dorfroman, der zwischen 1808 und 1814 zur „Franzosenzeit“ spielt und den Blick aus französischer Perspektive auf die linksrheinischen Gebiete wirft. Bechtolsheimer schildert das Leben in Wonsheim und der nahen Umgebung.
Er erzählt von Bauern, Handwerkern, dem fahrenden Volk. Gut herausgearbeitete heimatkundliche und historische Informationen machen den Reiz dieser Geschichte aus. Zeigen differenziert die verschiedenen Charaktere und das harte Leben der Bauern: Immer abhängig von der politischen Situation des Landes, vom Wetter oder Naturphänomenen. Bechtolsheimer hat sich in diesem Roman als erster ausführlich mit der Zeit der „Franzosenherrschaft“ beschäftigt. Die konkreten Folgen der französischen Besetzung für die Menschen seiner Heimat betrachtet.
Danach erscheint „Rheinhessen zur Zeit der Franzosenherrschaft 1792 -1814“ und 1907 „Das Hungerjahr“.
Ein historischer Heimatroman, sein literarisch bedeutendstes und erfolgreichstes Werk, herausgegeben vom Wiesbadener Volksbildungsverein.1926 wird der Erzählband „Weizenähre, Rebenblatt und Tannenzapfen“ veröffentlicht. In einem Kästchen nimmt Bechtolsheimer diese drei Fundstücke aus Rheinhessen mit nach Gießen und schreibt: „Beim Anblick der drei Mitbringsel wird mir in der Fremde leichter ums Herz.“
Bechtolsheimer ist ein einfühlsamer Erzähler, ein ausgezeichneter Beobachter und Zuhörer der seine Mitmenschen verstanden und beschrieben hat, wie kaum ein anderer seines Berufsstandes in dieser Zeit.
Aufgewachsen in Rheinhessen zeichnet er ein lebendiges Porträt seiner Heimat, der hier lebenden Menschen, gibt Einblick in das dörfliche Leben des 19. Jahrhunderts. Seine Dorfgeschichten sind Bestandteil einer vorausgegangenen Zeit und haben ihre Wurzeln in einer liberalen Tradition.
Seine Erzählungen sind Zeitzeugnisse, deren Inhalt uns verloren geht, wenn wir es nicht schaffen diese als kollektives Gedächtnis für Gegenwart und Zukunft zu erhalten.
Letztendlich ist es die Historie, sind es die Wurzeln unserer Entwicklung in Rheinhessen und die Sprache, die Einblicke in die lebendige Realität unserer Vorfahren gibt. Eine Sprache, reich an Ausdrücken und Formulierungen, die uns leider auch durch die Entwicklung im Social Media Bereich immer stärker abhanden kommt.
Das fruchtbare Land, die Menschen, der strahlend blaue Himmel und spektakuläre Ausblicke in die rheinhessische Landschaft lassen Bechtolsheimers Vorstellungskraft Raum sich zu entfalten, prägen seine christlich humane Weltanschauung und werden ihn sein Leben lang begleiten.
Heinrich Bechtolsheimer ist ein Chronist, ein Mensch, der das Leben in Rheinhessen betrachtet, die sozialen Verknüpfungen aufspürt und beschreibt. Diese romanhafte Kulturgeschichte macht seine Bedeutung für die Literaturwissenschaft aus.
In dem nun neu aufgelegten Roman „Das Hungerjahr“ beschreibt Heinrich Bechtolsheimer die drastischen klimatischen Veränderungen in Rheinhessen und der Pfalz nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien 1815. Dieses Naturphänomen führt 1816 zum „Jahr ohne Sommer“. Ein Jahr geprägt von sintflutartigen Regenfällen und Kälteeinbrüchen, wie es sie seit Menschengedenken nicht gegeben hatte.
Der Ausbruch des Tambora brachte durch die Eiseskälte, Missernten, weltweit die wohl schlimmsten Hungersnöte des Jahrhunderts, Verzweiflung, Tod und einen Massenexodus in ganz Europa. Durch den lang anhaltenden Regen verfaulte das Getreide auf den Feldern und konnte nicht mehr für das lebensnotwendige Brot und die Versorgung des Viehs verwendet werden.
Dieses Buch, sein literarisch gesehen wohl bedeutsamster Roman, war völlig vergriffen und im Buchhandel nicht mehr erhältlich. Zum 25. Jubiläum des Heinrich Bechtolsheimer Kreis haben wir uns deshalb zum Ziel gesetzt dieses Buch neu aufzulegen.
Noch rechtzeitig im Jubiläumsjahr 2024 ist es nun am 1. Dezember erschienen. Grund genug für Mitglieder des Heinrich Bechtolsheimer Kreises Verbandsbürgermeister Gerd Rocker ein noch druckfrisches Exemplar zu überreichen.
Wilhelm Haupt und Carola Cernavin Haupt danken überaus herzlich Sandra und Peter Crutchley aus Bechenheim, sowie Andreas Gepp aus Wonsheim, ohne deren tatkräftige Hilfe das Buch nicht erschienen wäre. Der Dank gilt auch den vielen Unterstützer*innen, die durch den Buchkauf, Geldspenden und den Besuch der Lesungen und Veranstaltungen mitgeholfen haben die Entstehungs- und Druckkosten für „Das Hungerjahr“ mit zu finanzieren.
Die Bücher von Heinrich Bechtolsheimer sind in der Buchhandlung Vogel/ Wöllstein, der Buchhandlung Machwirth/Hahn/ Alzey, der Gärtnerei Lang/Wendelsheim, oder beim Heinrich Bechtolsheimer Kreis/Wonsheim (Tel. 06703/ 303968) zu haben.
Aus unserer Sicht lohnt es sich einen angenehmen und unterhaltsamen Abend mit dem literarischen Werk Heinrich Bechtolsheimers zu verbringen.