Das Geißbock-Festspiel in Lambrecht gilt mit seinen 120 Mitwirkenden als das größte historische Festspiel in Südwestdeutschland. Es wurde an den beiden Pfingst-Feiertagen aus Anlass der Lieferung des 620. Lambrechter Geißbocks seit 1404 bei herrlichem Wetter auf dem Tuchmacherplatz aufgeführt.
Am Morgen des Pfingst-Dienstag startete das jüngste Ehepaar Miriam und Errol Buchmann mit Geißbock „Errol I.“, unterstützt durch Büttel Markus Kern zur Geißbock-Versteigerung nach Deidesheim, gefolgt von einer großen Zahl an Mitwanderern. Der begleitende Stadtbürgermeister Karl-Günter Müller schaut auf die Uhr und gab Punkt 5.30 Uhr in der Morgenfrühe das Zeichen zum Abmarsch.
(ve) Die Geißbock-Festspiele 2023 überragten alle Spiele der letzten Jahre. Die Festspiele 2023 haben den altersbedingten Aderlass angestammter Spieler verkraftet, junge Spielerinnen und Spieler haben die Lücken gefüllt und zusammen mit etablierten langjährigen Aktiven grandios zwei Festspiele an beiden Pfingst-Feiertagen auf die Bühne des Tuchmacherplatzes gebracht. Der gesamten zweitägigen Veranstaltung in Lambrecht muss ein uneingeschränktes Lob ausgesprochen werden, beginnend mit den Vorbereitungen, den zahlreichen Proben bis zu einer perfekten Umsetzung auf der Bühne. In die Vorbereitungen gehörte auch die Beschaffung der erforderlichen Technik, die Werbung und die erfolgte Unterstützung durch zahlreiche Sponsoren. Die Zuschauer fühlten sich auf dem Platz wohl und waren umsorgt von einem perfekten Caterer-Angebot, das keine Wünsche offenließ. Hinzu kam das wahrscheinlich alles entscheidende „Kaiser-Wetter“ an den beiden Pfingst-Feiertagen, das den Besuch der Festspiele zu einem nachhaltigen Genuss werden ließ. Bevorzugt wurden die Schattenplätze aufgesucht, am Pfingst-Sonntag waren einige der 1600 bereitgestellten Plätze „grell in der Sonne“ im hinteren Zuschauerteil leer geblieben. Insgesamt dürften um die 2500 Gäste die Geißbock-Festspiele erlebt haben.
Hans-Joachim Hinrichs, Vorsitzender des Verkehrsvereins und Mit-Organisator der Geißbock-Festspiele, begrüßte nach dem Einmarsch der Spielerinnen und Spieler die Gäste, wünschte unterhaltsame Stunden und würdigte die im Hintergrund geleistete Arbeit auf und neben der Bühne. Besonders dankte er den Sponsoren und dem Nähkreis für die Anfertigung der Kostüme. Das Geißbock-Festspiel des Lambrechter Dramaturgen Ernst Schäfer wurde erstmals 1934 auf der Freilichtbühne aufgeführt. Nach dem Krieg erfuhr das Spiel 1951 eine Neuauflage, erweitert durch die beiden Bilder von Luitpold Seelmann, den Wallonen-Einzug und das Eingreifen von Napoleon darstellend.
In den acht Bildern mit über 120 Mitwirkenden wird nicht nur die lange Geschichte des Lambrechter-Deidesheimer Geißbockes erzählt, sondern auch die wechselvolle Geschichte des über tausendjährigen Lambrecht dargeboten, beginnend mit Gründung des Klosters St. Lambrecht. Es folgt eine Klosterszene, bei der Adelheid mit dem Ritter Heinrich zur nahen Burg Spangenberg flieht. Und schon erscheint namentlich der Geißbock in dem Festspiel, als Kaiser Ruprecht den Streit zwischen Deidesheim und Lambrecht mäßigt und die Weide im Wald vertraglich festlegt. Prägend für das über tausendjährige Lambrecht war der Einzug der wallonischen Flüchtlinge, die das Handwerk der Tuchmacherei mitbrachten. Beeindruckend die Vielzahl der Komparsen, die mit „Kind und Hund“ Einzug hielten. Lambrecht erfuhr auch schwere Zeiten im Dreißigjährigen Krieg mit personifizierter Darstellung von Krieg, Hunger und Pest, bis endlich wieder Friede in das Tal einkehrte.
Der Streit um die Bocklieferung erreichte einen weiteren Höhepunkt, als 1808 Napoleon I. in seinem Feldlager in Spanien mit dem Geißbockvertrag der „renitenten“ Pfälzer beschäftigt wurde, der den bestehenden Vertrag erneuerte und hinzusetzte: „bien cornu et bien capable“ und die Zuschauer diesen wichtigen Satz „auf Geheiß“ wiederholten. Das Spiel zeigt auf, wie die junge Braut ihren Mann nicht allein nach Deidesheim den Bock überbringen lässt und seitdem führt das jüngste Brautpaar den Geißbock. Das Festspiel klingt aus, als der Deidesheimer Rat auf das Brautpaar und den Tributbock vergeblich wartet. Als er endlich zu spät auf einem Leiterwägelchen gebracht wird und das Tier den körperlichen Anforderungen nicht entsprach, wurde nach einem heftigen Streit mit köstlichem Pfälzer Humor die Annahme des Bockes verweigert, worauf Deidesheim das Appellationsgericht jahrelang bemühte mit dem Ergebnis, dass Lambrecht sieben Böcke nachliefern musste. Im Epilog wurde eindrucksvoll dargelegt, dass heute kein Streit wegen der Bocklieferung und dem Weiderecht mehr besteht, Deidesheim und Lambrecht pflegen ein gutnachbarliches Verhältnis und halten den Brauch der Geißbocklieferung am Pfingst-Dienstag weiterhin aufrecht.
Zum Ende des mit viel Beifall bedachten Spiels rief Stadtbürgermeister Karl-Günter Müller die Spielerinnen und Spieler entsprechend der acht Bilder nach und nach auf die Bühne, um sich bei ihnen für ihr perfektes Laienspiel unter dem Beifall der Zuschauer zu bedanken. Gleichzeitig begrüßte er am Pfingst-Montag die Ehrengäste mit dem Landrat und seinen Beigeordneten, die Spitze der Verbandsgemeinde, zahlreiche Ortsbürgermeister des Tales, die Bundes- und Landtagsabgeordneten und vor allem Bürgermeister Manfred Dörr „mit Gefolge“ von der Partnerstadt Deidesheim.
Die Jubelpaare Julia und Maximilian Groß, die vor fünf Jahren den Geißbock führten und das goldene Geißbockpaar Gisela und Dieter Fahrnschon, das vor 50 Jahren die ehrenvolle Aufgabe der Geißbocklieferung übernommen hatte, wurden auf die Bühne gerufen und ihnen gedankt. Das jüngst getraute Lambrechter Ehepaar Miriam und Errol Buchmann, das den aktuellen Geißbock nach Deidesheim führt, wurde mit Beifall bedacht, samt dem stattlichen 620. Geißbock, den das Paar nach Deidesheim führt. Das Paar erhielt den Geleitbrief der Stadt, gleichzeitig gab der Bräutigam sein Versprechen, den 620. Tributbock gewissenhaft und pünktlich zu überbringen.
Der Deidesheimer Stadtbürgermeister Manfred Dörr war mit einer großen Abordnung erschienen, um dem jüngsten Brautpaar zu gratulieren und um gleichzeitig den 620. Tributbock mit seinen geschwungenen Hörnern einem ersten Augenschein zu unterziehen. Deidesheims Bürgermeister Manfred Dörr würdigte das tolle Geißbockfestspiel, das die Geschichte der Geißbocklieferung und der Stadt Lambrecht widerspiegelt. Die Aufführung sei ein beredtes Zeichen lebendigen Brauchtums und echter Heimatliebe, beide Städte können stolz über das gemeinsame Brauchtum sein, zumal alle Genrationen am Weiterleben des Brauchtums sich aktiv beteiligen. Als Anerkennung versprach Manfred Dörr den Laienspielerinnen und -Spielern bei der Dankabstattung den zugehörigen „Deidesheimer Wein“ zu spendieren.