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Talpost Lambrecht
Ausgabe 33/2024
Stadt Lambrecht (Pfalz)
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In alten Zeitungen gestöbert

(hk) In alten Zeitungen blättern und herausfinden, was damals so los war? Das klingt mega spannend und weckt die Neugier auf alte Geschichten. Nicht die Nachrichten von gestern, sondern wirklich alte Artikel, 100 Jahre und mehr zurück. Was wurde damals über unsere Talgemeinden in der Zeitung geschrieben?

Begeben wir uns nach Lambrecht in das Jahr 1872. Die Arbeiter der Tuchfabriken in Lambrecht litten unter großer Not. Karge Löhne, die kaum ausreichten, um sich und ihre Familien zu ernähren, 15-Stunden-Arbeitstage und drastisch gestiegene Lebensmittelpreise nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 prägten ihren Alltag. Forderungen nach einer 20-prozentigen Lohnerhöhung blieben ungehört. „Gift anstatt Lohnerhöhung“ war die zynische Antwort eines Fabrikanten. All diese Umstände führten zu einem siebenwöchigen Streik, der vom 22. Mai bis zum 11. Juli 1872 andauerte. Es war der zweite Streik, aber der erste größere – und er blieb erfolglos.

Die Pfälzische Volkszeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 9. Juli 1872, wenige Tage vor dem Streikende, darüber. Somit können wir uns heute als Leser anhand solcher detaillierter Berichte einen Eindruck von den damaligen Ereignissen verschaffen.

* Die Tuchmacherstike in Lambrecht.

Nicht immer ist es Trotz, welche den Arbeiter zwingt zu dem letzten und verzweifelten Mittel zu greifen, zur Strike seine Zuflucht zu nehmen, es kommen Fälle vor, wo es die Noth, die Verzweiflung, die unglücklichen weißen Sklaven zur Empörung gegen ihre Dienstherren treibt.

Ein solches Verhältnis herrscht gegenwärtig zu Lambrecht, dessen Schilderung wir einem längeren Artikel der „Südd. Post“ entnehmen.

Als in Folge der vielen Kriege vom Jahr 1859 an schon die Tuchfabrikanten in Lambrecht durch massenhafte Lieferungen an die Armeen einen riesigen Aufschwung nahm, war man genöthigt, auch fremde Weber herbeizuziehen. Diese gewahrten mit Entsetzen, in welch jammervollen Lage sich die heimischen Fabrikarbeiter befanden, sie sahen ein, daß so arm und so verkommen die Tuchweber anderswo nicht anzutreffen seien. Die fremden Weber, die durchschnittlich, um sie zu erhalten, besser bezahlt wurden, als die einheimischen, waren Ursache, daß es bei vielen zu dämmern anfing.

Die Unzufriedenheit nahm immer mehr Gestalt an und diese veranlaßte die Fabrikherren zu einer Coalition gegen die Arbeiter, um etwaige ungerechte (!?) Forderungen zurückzuweisen. So standen sich beide Parteien einige Zeit gegenüber, auf der einen Seite die Unzufriedenheit wegen zu geringem Arbeitslohn, auf der anderen Seite das Gelöbnis, jede Anforderung der Arbeiter abzulehnen, bis der Konflikt in einen förmlichen Strike der Tuchmacher ausbrach.

Ist nun dieser Arbeiterstrike gerechtfertigt? Um diese Frage zu beantworten, muß vor Allem das Lohnverhältnis bekannt sein. Ein guter Weber in Lambrecht verdient bei seiner durchschnittlichen Arbeitszeit von 15 Stunden pro Tag 52 Kreuzer.

Ist es bei den heutigen Verhältnissen mit einem solchen Lohne möglich, einer Familie zu ernähren? Ist es da ein Wunder, wenn die Arbeiter in corpore einen Lohn erbitten, der sie und ihre Familien vor dem Hunger und Folgen schützt? Wahrhaftig da hatten nicht fremde Aufwiegler nothwendig den Impuls zu diesem Schritt zu geben, wie unsere national-liberale Presse gleich vermuthet, auch nicht die „schlechte“ Presse wird die Schuld der Arbeitseinstellung tragen – es müßten denn der „Arbeitgeber“, die Neustadter“ und Kaiserslauterer Zeitung“, welche Blätter ausnahmsweise im Locale des Lambrechter Arbeiter-Bildungsverein aufliegen, die Arbeiter verführt haben! – Der bittere Hunger war die eigentliche Ursache!

Konnte doch das sich immer mehr steigende Elend selbst der protest. Pfarrer Lambrechts nicht mehr ansehen, selbst dieser sah sich veranlaßt, das starre, hochmüthige Wesen der Fabrikherren zu geißeln und um Besserung der Arbeiterverhältnisse zu bitten.

Angesichts solcher Thatsachen sollte man doch glauben, die Fabrikherren hätten die verlangten 20 Procent Lohnerhöhung zugeben müssen, namentlich da von Seiten der Arbeiter zwei solch „rührende“ (Ausdruck eines Streikenden) Gesuche an die selben gerichtet wurden. Aber nein! „Gift anstatt Lohnererhöhung muss man den Unzufrieden geben“, war die Antwort eines Fabrikanten. Daß auf eine solche Drohung und nach allen fruchtlosen Bitten hin die 400 Weber einstellten, kann von einem vernüftigen Menschen, der den Fabrikarbeiter nicht als Maschine, sondern als einen ihm ebenbürdigen Menschen ansieht, gewiß nicht mißbilligt werden und ist in diesem Falle das Striken kein Trotz, sondern eine förmliche Nothwehr.

Das Bezirksamt Neustadt sowohl wie auch die Kreisregierung schienen die Sachlage besser zu beurtheilen, als die Fabrikherren, indem sie die strikenden Arbeiter durchaus nicht aufmunterten, zu den Fleischtöpfen Lambrechts zurückzukehren, sondern sie ermahnten nur die Strikenden, die polizeiliche Ordnung während der Dauer der Strike unter sich aufrecht zu erhalten.

Von den 400 Streikenden Tuchweber sind circa 160 durch Kaiserslautern gekommen, um sich anders wo ihr Brot zu suchen. Die Abschiedsscene Mancher von ihrer Familie soll herzergreifend gewesen sein. Die meisten weggewanderten Weber hatten nicht einmal die Mittel, um die Eisenbahn von Lambrecht bis Kaiserslautern zu benützen. Zu Dutzenden sah man Dieselben, an Fußtouren nicht gewöhnt, mit wunden und ausgelaufenen Füßen einher hinken. Allein in Kaiserslautern erwartete sie ein schlimmes Schicksal. Zwei Fabrikherren fuhren mit der Bahn vorraus, denuncirten die eintreffenden Weber, stellten dieselben als Lumpen und Verführer der Arbeiter und Gott weiß, was sonst noch hin. Die Folge davon war, daß sie man auch in Kaiserslautern fast überall, wo sie um Arbeit ansprachen, schnöde wegwies, obgleich man sie als Arbeiter nothwendig gehabt hätte. Aber nicht allein in Kaiserslautern ging es diesen armen Menschen so, der Rächerarm eines Fabrikanten erreicht sie selbst im Preußischen, wo viele schon ein Unterkommen fanden und durch diese Denunciation wieder entlassen wurden. Wie es den armen Leuten in nächster Zukunft ergehen wird, ist noch nicht abzusehen. Die Verzweiflung, der Hunger, die Sorge um die Ihrigen zu Hause, wird vielleicht Manchen zu unüberlegten, straffälligen Handlungen Treiben. Andere werden wieder zurückkehren müssen, um bei ihren früheren Arbeitgebern um Arbeit zu bettel; man wird sie mit höhnischen Bemerkungen überhäufen sie die Peitsche um so stärker fühlen lassen.

Das Resultat dieser traurigen Thatsachen wird ein unauslöschlicher Haß des Arbeiters gegen seinen Arbeitgeber sein; daß sonst so friedliche Lambrecht häuft Zündstoff auf Zündstoff und es ist nicht zu wundern, wenn eines Tages von der Arbeiterbevölkerung die gesetzlichen Schranken überschritten werden sollten.

Mögen doch die Fabrikherren dies bedenken, denn sie allein träfe die Verantwortung, sie allein könnten allenfallsige Ausschreitungen verhüten, wenn sie auf die gerechten Forderungen dieser armen Menschen eingingen. Mögen sich namentlich dieselben daran erinnern, was sie vor 20 Jahren noch waren. Wie sie in Folge ihrer günstigen Vermögensverhältnisse heute ebenfalls andere Forderungen an‘s Leben stellen wie damals und mögen sie deshalb ihre Nebenmenschen, die für sie arbeiten, und das Meiste zu ihrem Wohlstand beitragen, nach Proportion gleichen Recht genießen lassen.

Wenn wir die Voraussetzung des Correspondenten der „Südd. Post“ als gegründet annehmen, so können wir nicht anders als das Loos der armen Arbeiter auf’s Innigste zu beklagen. Jedoch eingedenk des altdeutschen Spruches „Eines Mannes Rede – ist keines Mannes Rede, man soll sie füglich hören Beede“; erlauben wir uns einige schon früher zugekommene Notizen zu berichten. In den selben wird der Verdienst der Weber zu fl. 400-500 fl. angegeben und diejenigen, welche fl. 250-350 fl. Erhalten, seien theils ältere Leute, welche nicht jede Waare arbeiten können, theils aber auch Leute, bei denen der Grund der Armuth ganz woanders zu suchen sei. Auch sei bei vielen die Leistungen in qualtitativer Beziehung der Art, dass die Forderung einer Aufbessereung ungerechtfertigt sei, insbesondere da bei schlechter Arbeit eine Concurerenz mit dem Bischweiler Fabrikat kaum auszuhalten sei. Feind der Stike, welche dem Arbeiter 2/3 und dem Arbeitgeber nur 1/3 Schaden anfügt, war es sowohl in humaner als in industrieller Beziehung nur wünschenswerth, diese so traurigen Zustände durch gegenseitige Vermittlung auf eine, beide Parteien befriedigende Weise beigelegt zu sehen, umsomehr, als die neuesten Nachrichten bereits ausgebrochene, höchst bedauerliche Excesse melden. *