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Talpost Lambrecht
Ausgabe 37/2022
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Turmfest und Glockenjubiläum in Lambrecht

Vor hundert Jahren wurde der gotischen ehem. Klosterkirche, der heutigen Lambrechter prot. Kirche, der Turm als „Glockenstube“ aufgesetzt. Das Jubiläum wird am Sonntag mit einem „Turmfest“ begangen.

Das historische Foto von 1922 zeigt den Aufbau des Turmes direkt neben dem kleinen Dachreiter.

Kolorierte Westansicht der Kirche vor 1922

Aufbau der Glockenstube an der Westseite der Kirche

Glockenstube wurde als „Turm“ der prot. Lambrechter Kirche vor 100 Jahren aufgesetzt – Glocken erklingen seit 70 Jahren

Vor hundert Jahren wurde das äußere Erscheinungsbild der ehem. Klosterkirche, der heutigen prot. Kirche in Lambrecht, grundlegend verändert. Im Jahre 1922 wurde der Dachreiter über dem siebten Joch beseitigt und an der Westfront die hölzerne, schieferverkleidete Glockenstube aufgesetzt, ein Baukörper, der sich nach dem erklärten Willen der Baukunstkommission des Bayerischen Kultusministeriums deutlich als „fremde Substanz“ vom bisherigen Bau abheben sollte. Das Jubiläum des „Turmes“ bietet der Kirchengemeinde Anlass, am Sonntag ein „Turmfest“ zu feiern.

Mehrere bauliche Veränderungen

Wie hat sich das Aussehen der gotischen Kirche seit ihrer Erbauung 1340-1350 verändert? Sie besaß einst die imposante Länge von 23 Metern. Nach fast 500 Jahren wurde der nach der pfälzischen Kirchenteilung abgetrennte und seit 1707 ungenützte Westteil der Kirche infolge Baufälligkeit während der napoleonischen Zeit teilweise abgetragen und um drei Joche auf seine heutige Ausdehnung verkürzt.

Mit der „verkürzten“ Kirche war somit der letzte Bauabschnitt erreicht, was die äußere Ausdehnung der Kirche anbelangt. Im Innern stand der Westteil offen bis zur hochgemauerten Außenwand. Der nächste Eingriff erfolgte 1854, als man das gotische Steildach mit dem heutigen relativ flachen Dach vertauschte und damit dem Bau viel von seiner imponierenden Wirkung nahm, die er mit seiner grünglasierten Eindeckung ausgestrahlt haben muss. Die Baugeschichte setzte sich 1890/92 fort mit dem Umbau der Kirche in neugotischem Geschmack unter Entfernung der Scheidemauer von 1705, dem Einbau der jetzigen Empore im Westteil und der Versetzung der Orgel an ihren heutigen Platz. Der letzte Eingriff auf das äußere Erscheinungsbild der Kirche erfolgte dann 1922 mit dem Aufbau der Glockenstube, dem „Turm“.

Wunsch nach neuem Geläute begründete den „Turmbau“

Während des ersten Weltkrieges musste die Kirchengemeinde die größere der beiden Glocken in dem Dachreiter zu Kriegszwecken abliefern, zurück blieb nur die kleine Glocke. In der Nachkriegszeit nach 1918 kam beim Presbyterium der Wunsch auf, ein neues und größeres Geläute zu beschaffen, doch war erkennbar, dass in dem kleinen Dachreiter kein größeres Geläute untergebracht werden konnte und zudem litt das Türmchen unter Baufälligkeit. Es war zu entscheiden, die Glocken in einen neuen Turmaufbau auf der Kirche zu hängen oder einen neuen Turm von Grund auf zu errichten. Bei einem Turmaufbau auf die Kirche war zu prüfen, ob das alte Gebäude überhaupt für eine solche Belastung tragfähig war. Man ließ die Statik durch einen Architekten überprüfen, die alten Mauern zeigten sich als tragfähig doch ein erster Vorschlag des Architekten mit einem turmähnlichen Aufbau an der Westseite wurde von der Kirchen-Regierung in Speyer und vom Kunstausschuss in München verworfen.

Architekt Latteyer aus Speyer wurde aufgetragen, nun einen „Aufbau“ nach dem „nordfranzösischen Kathetralenstil“ auf der Westseite über die ganze Kirche, die beiden letzten Pfeiler umschließend, vorzunehmen. Dieser Aufbau nach einem Beschluss des Presbyteriums von 1921 sollte somit kein eigentlicher Turm, vielmehr eine Glockenstube sein, 15 Meter hoch, im oberen Teil von Pfeilern durchbrochen. Das Ganze aus Holz gebaut, verschalt und verschiefert wurde in die Tat umgesetzt. Die Gesamtkosten betrugen ca. 741.808 Mark, das Bauholz im Wert von 40.000 Mark hatte Tuchfabrikant Albert Haas gespendet. Der Aufbau erfolgte durch die Zimmerei Johannes Karrer aus Lambrecht.

Parallel zum Aufbau der Glockenstube wurden Verhandlungen über einen eisernen Glockenstuhl samt einem Geläute, bestehend aus vier Glocken geführt. Die Finanzierung der neuen Glocken machte mehrere Gemeindeversammlungen notwendig, mit dem Ergebnis, dass zunächst nur drei der gewünschten vier Glocken angeschafft wurden.

Einweihung der Glocken in der neuen Glockenstube

Die Einweihung der Glocken in der neuen Glockenstube begann mit der Einholung der Glocken am 9. Dezember 1922. Pferdebespannt wurden die Glocken von der Kuhbrücke aus durch geschmückte Straßen zur Kirche transportiert, der Kirchenchor sang, Pfarrer Alexander sprach Grußworte, den Segen und dankte, Glückwünsche sprachen außerdem Pfarrer Sebastian von der kath. Kultusgemeinde und Bürgermeister Seiberth für die Stadt aus. Am 12. Dezember 1922 gegen Mittag läuteten die Presbyter Basters und Kölsch das alte Glöcklein im Dachreiter zum letzten Male. Am 14. Dezember 1922 wurden die neuen Glocken auf den Turm gezogen und montiert. Am 4. Advent, dem 24. Dezember 1922, erfolgte die Weihe durch Dekan Bayer aus Neustadt. Die drohende Inflation war damals schon zu spüren, denn gegenüber dem Angebot von rund 156.000 Mark kosteten die drei Glocken samt dem eisernen Glockenstuhl am Ende 681.000 Mark

Allzulange läuteten diese Glocken leider nicht, sie mussten zu Kriegszwecken abgeliefert werden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden 1952 neue Glocken in die Glockenstube gehängt, die nunmehr seit 70 Jahren die Gläubigen zum Gottesdienst rufen oder zu anderen kirchlichen Anlässen läuten. Ihr siebzigjähriges Jubiläum wird zusammen mit dem hundertjährigen Jubiläum der Glockenstube gefeiert.

Turmuhr schaffte das Hundertjährige nicht ganz

Die alte mechanische Turmuhr hätte ebenfalls ihr „Hundertjähriges“ feiern können, doch sie war zu gebrechlich geworden und sie musste im vergangenen Jahr 2021 durch eine elektronische Nachfolgerin ersetzt werden. Aber die gewaltigen und weit sichtbaren Ziffernblätter blieben erhalten, sie zeigen noch heute die Minuten und Stunden an und sie können mitfeiern, obwohl diese eigentlich erst 99 Jahre alt sind, denn sie wurden mit der Uhr im Februar 1923 montiert.

Aus Kostengründen war in der Zeit des Baues der Glockenstube zunächst nicht an eine neue Kirchturmuhr gedacht worden, doch Tuchfabrikant Albert Haas wies auf die Notwendigkeit einer Kirchturmuhr für die Stadt hin und stiftete spontan 5000 Mark. Diese Spende war die Anregung für das Presbyterium zur Anschaffung einer Turmuhr mit Ziffernblättern, die sich „selbsttätig durch elektrischen Antrieb aufziehen lässt, mit doppeltem Viertel- und einfachem Stundenschlagwerk“. Durch Liefer-Verzögerung konnte die Turmuhr erst 1923 in Betrieb gehen.

Die Kostenentwicklung

Mit der Errichtung der Glockenstube, der Anschaffung der Glocken und dem Einbau der Kirchturmuhr betrug der Kostenvoranschlag vor hundert Jahren zunächst 227.000 Mark. Während der Bauphase verstärkte sich jedoch rasant die Inflation und am Ende waren drei Millionen Mark zu bezahlen. Dieser Betrag konnte nur durch Sammlungen und Spenden aufgebracht werden, zwei Darlehen wurden aufgenommen, die jedoch relativ rasch zurückbezahlt wurden. Dankbar war man damals von der Spendenbereitschaft von „Lambrechtern in der Ferne“, die Dollars, Franken und Kronen sandten, die nicht der Inflation unterlagen. In Deutschland war ein Dollar im Friedenswert von 4,20 Mark nach dem sinkenden Wert im Jahre 1923 mit 25.000 Mark bewertet. Am Ende der Baumaßnahme stellte Pfarrer Alexander erfreut fest, dass die protestantische Kultusgemeinde „vollständig schuldenfrei“ dasteht.

Am Sonntag Turmfest

Das Turmfest findet statt am Sonntag, 18. September 2023, Beginn 10.30 Uhr mit einem Festgottesdienst mit Dekan Andreas Rummel, der Handglockenchor aus Karlsruhe wirkt mit. Danach wird vor der Kirche mit „Essen und Trinken“ sowie verschiedenen Aktionen und Angeboten gefeiert. Alle sind herzlich willkommen!