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Talpost Lambrecht
Ausgabe 45/2023
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Vor 100 Jahren: Separatisten überfielen Lambrecht

Die Tafel an dem Findling erinnert namentlich an die drei Lambrechter Bürger, die durch den Separatisten-Überfall zu Tode kamen.

Die historische Postkarte aus Lambrecht zeigt das ehem. Rathaus der Stadt Lambrecht (heute prot. Gemeindehaus), das die Separatisten einnehmen wollten. Rechts unten das ehem. Postamt wo die Bürgerwehr am Straßenengpass mit einer Barrikade mit Knüppeln und Steinen die LKW der Separatisten stoppen wollte. Im Gegensatz zum Stadthaus wurde das Postamt zeitweise durch die Separatisten besetzt.

An der früheren Brückenwaage, vor dem Restaurant Hütchen, später Sterf, heute abgerissen, konnte eine Barrikade die Separatisten nicht aufhalten, ein kleiner Trupp marschierte zur Brücke, der größte Teil der rund 70 Sonderbündler zog mit den LKW’s die Hauptstraße weiter bis zur Einmündung der Walter-Rathenau-Straße (früher Sedanstraße).

Der Findling als Erinnerung an die drei getöteten Lambrechter Bürger nach dem Separatistenüberfall von 1923 wurde am Gefallenen-Ehrenmal der beiden Weltkriege in Lambrecht gesetzt.

Die Talpost berichtete mit einem Sonderdruck über den Separatistenüberfall vor hundert Jahren.

Im Gasthaus Wittelsbacher Hof in Speyer wurde Heinz-Orbis, der Präsident der Autonomen Republik Pfalz während des Abendessens erschossen.

Nachruf Wilhelm Elsässer in der Talpost

Nachruf Heinrich Selinger in der Talpost

Nachruf Friedrich Macht in der Talpost

Mit einer Bürgerwehr hatte die Stadt den Angriff zurückgeschlagen – Drei unschuldige Lambrechter Bürger fielen dem Angriff zum Opfer

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges gehörte in Deutschland auch die Epoche der Monarchie der Vergangenheit an. Am 9. November 1918 ging der Kaiser nach Holland ins Exil, in Berlin rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik aus, am 11. November 1918 ging der Erste Weltkrieg mit den Waffenstillstandsvereinbarungen von Compiègne zu Ende. Die Nachwirkungen des Kriegsendes sollten der ersten deutschen Demokratie erhebliche Schwierigkeiten bereiten: Das Kriegsende brachte für die Pfalz die Besatzung durch das siegreiche Frankreich. Durch die Rückgabe von Elsass-Lothringen grenzte die Pfalz nunmehr unmittelbar wieder an Frankreich, außerdem musste die „Saarpfalz“ mit den Städten St. Ingbert, Homburg und Blieskastel an das Saargebiet abgetreten werden, das nun wirtschaftlich Frankreich unterstand und durch ein Mandat des Völkerbundes regiert wurde. Parallel wurde die Pfalz seit November 1918 schrittweise besetzt. Das gesamte Rheinland westlich des Rheins war besetzt durch französische, belgische und britische Besatzer. Durch Verordnungen schränkte die französische Besatzungsmacht den Post-, Fernsprech-, Personen- und Güterverkehr ein, die Pressefreiheit war stark eingeschränkt.

Die Pfalz war von französischen Truppen vollständig besetzt, der französische General Gérard sah in den besetzten Gebieten „Barbaren“, das alliierte Militär sollte die Macht übernehmen. Gehorsam wurde gefordert, öffentliche Behörden übten ihre Tätigkeit unter der Kontrolle der Besatzer aus. Dadurch waren die Machtverhältnisse klar geregelt, was Unmut und Empörung bei der Bevölkerung auslöste. Es entwickelten sich Strömungen des Separatismus, um einen eigenen Staat zu gründen. Ziel der Separatisten im eigenen Land war es, mit Unterstützung oder Duldung Frankreichs, das Rheinland oder Teile davon wie die Pfalz, vom Deutschen Reich abzutrennen und in eigenständige, „autonome“ Republiken umzuwandeln. Von separatistischer Seite erhoffte man sich in den Nachkriegsjahren angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Umstände einen nachhaltigen Aufschwung. Frankreich begegnete den Separatisten mit Sympathie und Unterstützung, litt aber selbst unter wirtschaftlicher Schwäche. Die Inflation von 1923 als Folge der Reparationszahlungen an die Siegermächte beeinflusste bzw. lähmte das wirtschaftliche Leben in der Pfalz.

Die Separatisten erobern die Pfalz

Die pfälzischen Separatisten sollen zusammen nicht mehr als 400 bis 600 Mann gezählt haben, eingeteilt in Kompanien. Das Oberkommando hatte der Landwirt Heinz Orbis, der sog. Präsident der „Freien Pfalz“. Den bewaffneten Separatisten gelang es, die von der Besatzungsmacht teils heimlich, teils offen unterstützt wurden, die Pfälzer Städte eine nach der anderen zu erobern und auf den Rathäusern die grün-weiß-rote Fahne der „Freien Pfalz“ zu hissen. Am 5. November 1923 wurden Ludwigshafen, Kaiserslautern, Landau und weitere Städte besetzt, am 6. November Neustadt. Einzig die Stadt Lambrecht wollte sich nicht beugen und nahm den Kampf „um die deutsche Pfalz“ auf.

Die Lambrechter waren durch die Besetzung von Kaiserslautern und Neustadt aufgeschreckt und sie stellten fest, dass die „Sonderbündler“ auf Lastkraftwagen Nachschub von Kaiserslautern nach Neustadt schafften. Man beschloss, diese Nachschublinie zu unterbrechen und so sperrte eine große Anzahl von Lambrechtern am 7. November 1923 bei der kath. Kirche die Straße. Mit Schreckschüssen haben sich die Separatisten jedoch die Weiterfahrt erzwungen. Durch diesen Zwischenfall wussten die Separatisten, dass Lambrecht unterworfen werden musste, konnte doch hier der Nachschub auf der Straße und der Schiene leicht unterbrochen werden.

In Lambrecht entschied man sich für Kampf

Viele Lambrechter waren als Späher bis nach Neustadt unterwegs, auf den Bergen waren Ausguckposen besetzt und der harte Kern, bestehend aus einem Stoßtrupp von 26 Mann wurde zur Verteidigung des Rathauses aufgestellt. Führer war Philipp Karch, Lehrer und dritter Bürgermeister der Stadt. Da man kaum Feuerwaffen hatte, bewaffnete man sich mit Äxten, Hacken, Spaten und alten Säbeln. Als bekannt wurde, dass die Separatisten in Neustadt unverhüllte Drohungen gegen Lambrecht ausstießen, rief der erste Bürgermeister Hans Seiberth die Vertreter aller Stände zusammen. Man war sich einig, gemeinsam die Separatisten abzuwehren, die Feuerwehr wurde in Alarmbereitschaft versetzt und die Zugänge zum Stadthaus wurden verbarrikadiert. Weitere Barrikaden wurde gebaut bei der ehem. Brückenwaage (später Gasthaus Sterf) und auf der heutigen Friedrich-Ebert-Brücke.

Das Gefecht beginnt

Am Morgen des 8. November 1923 wurde Lambrecht telefonisch mitgeteilt, dass zwei Lastautos der Separatisten aus Kaiserslautern mit Nachschub für Neustadt unterwegs seien. Ein Teil der Bürgerwehr legte sich an der „Alten Post“ (später evang. Gemeindehaus, heute abgerissen) auf die Lauer. Eine große Anzahl von Menschen blockierte die Straße und zwang die Lastwagen zum Anhalten und warf Steine und Holzprügel vor die Lastwagen, doch zu aller Überraschung waren auf den Wagen 30 Separatisten versteckt, die mit Gewehren bewaffnet waren und das Feuer auf die Menschen eröffneten, die wild flohen, zwei junge Männer wurden durch Schrotschüsse verletzt. Lambrecht hatte eher eine Keilerei erwartet, so galt es jedoch Leben und Eigentum zu verteidigen und man zog sich zurück. Die Lambrechter begannen sich zu bewaffnen, organisierten Jagdgewehre und Munition und bastelten Handgranaten. Als Folge dieser Aktion musste mit einem Angriff aus Neustadt gegen Lambrecht gerechnet werden.

Der Kampfgruppenkommandant Oswald Irmscher der Separatisten, in Rußland geborener Sohn einer Lambrechterin, sollte den Kampf gegen die frühere Heimatstadt seiner Mutter führen. Von Neustadt mit Autos kommend teilte sich die Hundertschaft zu Fuß an der Kohlbrücke und dem ehem. Lindenberger Weg. Der Haupttrupp mit den Wagen blieb auf der Straße, die Seitensicherungen marschierten durch die Wiesenstraße und an der Bahnlinie in Richtung Lambrecht, wobei sie auf Passanten feuerten.

Die Glocken der ehem. Klosterkirche rief die Lambrechter zu den Waffen, gleichzeitig heulten sämtliche Fabriksirenen. Es war Schichtende und Marx-Arbeiter und Angestellte waren gerade dabei, nach Hause zu gehen, da wurden sie unter Feuer genommen. Der sehr beliebte Webmeister Friedrich Macht erhielt einen Bauchschuss, an deren Folgen er verstarb. Auf der Hauptstraße wurden zwei Männer verwundet. Die Heimwehr war bei der Brückenwaage postiert, doch die wenigen bewaffneten Männer konnten die Sonderbündler nicht aufhalten, diese marschierten die Schulstraße hinunter Richtung Brücke.

Der Trupp, der in der Wiesenstraße unterwegs war, wollte durch die heutige Karl-Marx-Straße und die Wallonenstraße das Rathaus erreichen, doch es gab für sie kein Durchkommen, die Lambrechter nahmen die Separatisten vom Gradschank-Brunnen und vom Pickplatz aus unter Feuer. Der erste Trupp der Angreifer wurde von einer Barrikade an der unteren Marktstraße aufgehalten, hier und am Brunnen sollen zwei Angreifer im Feuer zusammengebrochen sein. Die Schießerei nicht beachtend war der Lambrechter Fabrikarbeiter Heinrich Selinger hier unterwegs, der einen tödlichen Schuss erhielt. Den Separatisten gelang es, drei Lambrechter in ihre Gewalt zu bekommen, die sie als Schutzschilde vor sich hertrieben und so das Rathaus erreichten. Das Rathaus war verbarrikadiert, die Separatisten beließen es beim Einschlagen von Fenstern und zogen sich zurück. Die Bürgerwehr erwartete einen weiteren massiven Angriff von Westen und bezog Position Richtung Brechloch/Beerental, um einen erweiterten Angriff über den Kleinen Weg abzuwehren.

Schießerei in der Hauptstraße / Brechloch

Von der kath. Kirche aus schossen die Separatisten die Hauptstraße in Richtung Westen entlang. Der 72jährige Wilhelm Elsässer war grade im Begriff, die Wirtschaft Hartmann (später Bayer. Hof) zu verlassen, als dieser gegen 16.15 Uhr einen Bauchschuss erlitt und sofort tot war. Wenige Meter weiter, vor der früheren Polizeistation an der Einmündung der heutigen Walter-Rathenau-Straße in die Hauptstraße sammelte sich ein Trupp der Separatisten, um – wie erwartet - über den Kleinen Weg zum Marktplatz/Rathaus vorzustoßen. Doch die Heimwehr hatte sich am Brechloch oberhalb des Kleinen Weges, wo der Treppenweg mündet, verschanzt und eröffnete das Feuer aus allen Rohren auf die Separatisten. Philipp Karch schrieb: Nach dem vergeblichen Bemühen, die steile Höhe anzurennen, fiel Mann um Mann. Man sah, wie der feindliche Trupp Tote und Verwundete hinter der (damaligen) Schlachthausmauer barg, wie er hinter dem früheren „Ratskeller“ Verbände anlegte. Die Horde sah ein, dass sie hier auf Granit gebissen hatte. Mit Pfeifensignalen riefen die Anführer ihre Leute zusammen und gaben Befehl zum Rückzug. Die Separatisten meldeten zehn Tote, zuvor war von sechs Toten und vier lebensgefährlich Verwundeten die Rede.

Der Tag nach der Schlacht

Die Verluste der Separatisten in ihren Reihen waren damit begründet worden, die Lambrechter würden über ein Maschinengewehr verfügen, was jedoch nicht stimmte. Sie ließen die Separatisten aber in dem Glauben, zumal das Gerücht am Abend umging, die Separatisten kämen zurück. Sie forderten, die Stadt müsse bis zum nächsten Morgen um 5 Uhr übergeben sein, ansonsten würde die Stadt durch Brand niedergelegt werden. Der Stadtrat erklärte, diese Androhung ungeachtet zu belassen und der Rat der Stadt traf sich am 9. November im Unterkunftshaus der Steinbrecher am Schorlenberg. Den tapferen Männern wurde der Dank der Gemeinde ausgesprochen. Den drei Lambrechter Todesopfern wurden Ehrengräber gegeben.

Bestattung der Toten

Am Sonntag, 11. November 1923 begrub die Stadt Lambrecht ihre drei erschossenen Mitbürger. Eine unübersehbare Menschenmenge – nicht nur aus Lambrecht – gab den Toten das letzte Geleit zu den Ehrengräbern links vom Aufgang zur Leichenhalle. Pfarrer Alexander hielt die Totenrede, zahlreiche Nachrufe wurden gesprochen und Kränze niedergelegt. Bis in die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gedachte jährlich eine Abordnung der Stadt den drei Erschossenen mit einem Besuch am Ehrengrab. Dieses wurde vor einigen Jahren eingeebnet, der Findling mit den Namen der Ermordeten wurde am Ehrenmal der Gefallenen beider Weltkriege gesetzt und erinnert an den Separatistenüberfall.

(Der Text nimmt besonders Bezug auf einen Vortrag des Historikers Dr. Kurt Lembach, den dieser am 70. Jahrestag des Lambrechter Aufstandes gegen die Separatistenherrschaft bei der Volkshochschule hielt. Die abgebildeten Nachrufe der Tuchfabriken als Arbeitgeber der Getöteten wurden zusammen mit Familien-Todesanzeigen und Nachrufen von Vereinen 1923 in der Talpost veröffentlicht).