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Talpost Lambrecht
Ausgabe 47/2025
Verbandsgemeinde Lambrecht (Pfalz)
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Uffm Lä-lä… - Lälälälä… - Uffm Läderwächelche!!

Bockannahme wird verweigert – Szene aus dem 8. Bild des Geißbock-Festspiels

Der Tod – Szene aus dem 5. Bild des Geißbock-Festspiels

Dietz vermeldet die Rückkehr des Brautpaares samt Bock: „Uffm Lä-lä… – Lälälälä… – Uffm Läderwächelche!!“ Szene aus Bild 8 des Geißbock-Festspiels

Geißbock-Ttradition und Immaterielles Kulturerbe

Von Dr. Martin Fell

Lambrecht. Alleine dieses „Wort“, das Dietz zuerst so gar nicht über die Lippen will, wird wohl ausnahmslos bei jeder Person, die auch nur einmal ein Geißbock-Festspiel besucht hat, im Geiste unmittelbar und lebhaft den Deidesheimer Rat im Wald vor Augen rufen und was so ein Gremium scheinbar tut, wenn ihm langweilig ist. Dabei kommt Dietz als Scout angelaufen und versucht den am Dienstag nach Pfingsten an der Ortsgrenze Wartenden zu sagen, auf welche Weise der Lambrechter Geißbock nun endlich abgeliefert wird. Es schließen sich in dichter Folge vor allem aber laut und deutlich die in kräftiger pälzer Mundart vorgebrachten Gründe an, welche im hier dargestellten Jahr 1851 das Komitee aus Deidesheim neben der erheblichen Verspätung anführte, um am Schluss den seiner Ansicht nach in keiner einzigen Hinsicht den vertraglichen Anforderungen entsprechenden Tributbock abzulehnen. Das Brautpaar, das den Bock bringt, wird auf demselben Weg nach Lambrecht zurückgeschickt, auf dem es gekommen ist. Ob der Bock die ganze Zeit „uffm Läderwächelche“ bleiben wird, das dürfen die Zuschauer dann selbst überlegen, wissen doch auch die von ganz weit her Angereisten spätestens seit der Ankunft des Bocks durch Augenschein, worum es sich beim „Läderwächelche“ handelt.

Kulturpflege kreativ

Auch wenn die Szene eine ist, mit der das Publikum eher zum Lachen gebracht wird, so ist die Sache, um die es ursprünglich gegangen ist, alles andere als lustig. Sie ist vielmehr einer der Momente, in denen das Verhältnis zwischen den beiden, bis zur Stadterhebung Lambrechts 1887 eigentlich noch drei Orten St. Lambrecht und Grevenhausen auf der einen, Deidesheim auf der anderen Seite unter hoher Spannung stand. Es brauchte sieben Jahre und eine halbe Herde von Geißböcken, welche die Lambrechter dann in ein bestens besuchtes Deidesheim bringen mussten, darüber hinaus in der Zwischenzeit das Lachen halb Deutschlands über solch eine Art von Streit, um wieder in ein normales Fahrwasser zu kommen. Weil aber Ärger schon zuvor und auch danach, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder aufkam, ehe er schließlich durch entsprechende Vereinbarungen zwischen beiden Orten dauerhaft beigelegt werden konnte, ist es wichtig zu sehen, wie mit der Sache insgesamt umgegangen worden ist. Die Angelegenheit um den Pfingstbock zu betrachten als ein über den bloßen Akt des Ablieferns hinausgehendes, Geschichte und Kultur beider Orte zuzurechnendes Element, das man hegen und pflegen sollte, ist ein entscheidender Schritt. Diesen zu gehen ist Deidesheim als empfangendem Partner leichter gefallen, daher hat dieses erheblich früher den Weg beschritten, auf den es Lambrecht dann auch gezogen hat.

Die oben angerissene Szene gehört sowohl zu dem Geißbock-Lustspiel Ernst Schäfers von Pfingsten 1933 wie auch als bei weitem umfangreichstes Bild zum Geißbock-Festspiel, der von diesem Autor zu Pfingsten 1934 erweiterten Form. Schäfer hat genau gewusst, dass er seine Zuschauer unterhalten und auch belustigen muss, damit sie bei der Stange bleiben, dass er gleichzeitig aber doch Wahrheit in die Szenen mit einfließen lassen muss, welche das Publikum dann mitnehmen und im besten Falle auch behalten kann. Auch bei den vorangesetzten, schon vom Thema „Geschichte von St. Lambrecht und Grevenhausen“ her bedeutsameren Szenen fügt er dort, wo es möglich ist, leichte Passagen ein, z.B. die Novizin des Dominikanerinnenklosters, die sich entführen lässt oder König Ruprecht, der über die Pfälzer schmunzelt. Völlig anders als der Ulk am Ende des Spiels, nämlich eher bedrohlich Krieg, Pest und „Hauuuungeeer“, die ebenfalls eindrucksvoll dargeboten das 17. Jahrhundert charakterisieren und so im Gedächtnis haften bleiben. Schäfer ist in hohem Grade kreativ mit dem Material umgegangen und hat eine mehr als eindrucksvolle Form entwickelt, in welcher der Geißbock am Rande fast jeder Szene stehen kann. Außer neben der ersten: Zumindest ist bis jetzt noch nicht nachgewiesen, dass schon die Benediktiner, die am Ende des 10. Jahrhunderts das Kloster St. Lambrecht gegründet haben, bereits Verpflichtungen dieser Art eingegangen wären.

Immaterielles Kulturerbe

Sobald man sich, so wie in Deidesheim und Lambrecht, mit dem Vergangenen auseinandersetzt, es als Teil der Gegenwart akzeptiert und aktiv handelt, damit es nicht nur als Last betrachtet, sondern als mit gutem Grund zustandegekommen und deshalb auch achtens- und erhaltenswert erkannt wird, hat man den ersten Schritt getan, Kultur zu pflegen. Die Geißbock-Tradition präsentiert sich hierbei als Mischform, denn es geht nicht um etwas beendetes, sondern der zugrundeliegende Vertrag gilt immer noch und weiterhin, in Teilen gewandelt, damit er weiter funktioniert. Und das ist einzigartig, denn ähnliche Vereinbarungen, die es gegeben hat, sind kurzlebiger gewesen, sie wurden längst eingestellt.

Was hier anhand der um Pfingsten herum angesiedelten Tradition zwischen Lambrecht und Deidesheim angedeutet ist, ist nur ein Beispiel von immateriellem Kulturerbe. Alleine in der UNESCO-Liste für Deutschland sind mit den in diesem Jahr neu hinzugekommenen insgesamt 162 Einträge enthalten, die unterschiedlichen Bereichen zugewiesen werden, gelegentlich auch mehreren, nämlich: a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, b) darstellende Künste, c) gesellschaftliche Bräuche und Feste, auch Selbstorganisation, d) Wissen und Bräuche zu Natur und Universum, e) traditionelle Handwerkstechniken. Eine ganze Reihe der Einträge hat mit Gesang, Tanz und Spiel zu tun, Traditionen um Fastnacht sind ebenso zu finden wie solche zum Schützenwesen, Skat- und Schach-Spiel stehen neben der Tölzer Leonhardi-Fahrt und anderen, oft aus Bußgelübden entstandenen Traditionen. Reetdachdeckerei oder Kratzputz passen zur Walz, also der Wander-Phase, in der Zimmermannsgesellen übers Land ziehen, wo sich z.B. Streuobstwiesen, besondere altüberkommene Bewirtschaftungs- oder Bewässerungsformen finden können, auch anderer Umgang mit Tieren, z.B. Brieftauben, Reitpferden, Falken, Schafen. Nicht nur für den Pfälzer leicht einsichtig, dass der Weinbau so gut zum Immateriellen Kulturerbe gehört, wie für andere Regionen das Bierbrauen. Und wenn jetzt an das Brot erinnert wird, fällt jedem Leser vermutlich ein, dass er mindestens davon doch schon gehört hat.

Dieser bunte Strauß an Beispielen zeigt auf, wie vielgestaltig das große Feld des Immateriellen Kulturerbes ist. Die bei weitem nicht vollständige Liste enthält auch Beispiele, die über einen Ort oder auch eine Region hinausreichen, es gibt auch solche, welche Ländergrenzen überwinden.

Warum „erst jetzt“?

Mancher hat sich gewundert, dass die Aufnahme der Geißbock-Tradition in diese Liste nicht längst erfolgt ist oder warum es mehrerer Anläufe bedurfte. Der Beschluss, weltweit das Immaterielle Kulturerbe zu schützen, wurde von der UNESCO 2003 gefasst; nach und nach sind ihm bis heute 185 Länder beigetreten, die Bundesrepublik im Jahre 2013. Die Geißbock-Tradition wäre auch in der ersten, direkt 2013 durchgeführten Bewerbungsphase ein Leuchtturm-Projekt gewesen, so wie sie es heute ist. Die geforderten Kriterien sind mustergültig erfüllt, die zwischen Lambrecht und Deidesheim gepflegte Tradition, die in Deidesheim vielgestaltigeren Elemente, wiederum in beiden Städten die breite Beteiligung der Einwohner als Zuarbeitende, Komparsen etc., alles zusammen ist ein Paradebeispiel für Brauchtumspflege. Das „Problem“ liegt darin, dass für die Aufnahme übergreifende Rahmenbedingungen wie auch Verfahrensformen gelten, denn diese ist kein Selbstläufer, sondern erfordert eine Bewerbung. Wenn man bedenkt, welch ungemein breites Feld mit dem Begriff „Immaterielles Kulturerbe“ insgesamt beackert werden soll, wird sofort einsichtig, dass der Aufnahmeprozess in einer Form zu regeln ist, die alle Verfahren unmittelbar vergleichbar sein lässt.

Die vor Ort Tätigen wissen jeweils ziemlich sicher, wie fest die Basis ist, auf der die jeweilige Veranstaltung fußt. Das muss in angemessener Form einem Gremium klar gemacht, also bewiesen werden, welches unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten prüft. Die Anträge müssen einer solchen Prüfung vollständig standhalten und zwar nicht nur auf der unteren Ebene, sondern auch im internationalen Vergleich. Der Impuls, sich mit der Geißbock-Tradition um die Aufnahme in die UNESCO-Liste zu bewerben, kam aus Lambrecht, Deidesheim ist jedoch gleich bei der ersten Anfrage mit fliegenden Fahnen der Sache beigetreten. Weil zwei Orte beteiligt sind, mussten nach den Regularien bestimmte, ortsspezifische Elemente jeweils gesondert beigesteuert werden.

Die UNESCO hat von Anfang an darauf abgehoben, dass diejenigen, welche die Tradition tragen und pflegen den jeweiligen Antrag zu stellen haben. Behörden oder Amtsträger wie z.B. Bürgermeister der betreffenden Gemeinden können beisteuern, mehr jedoch nicht. Auf diese Weise soll Sorge getragen werden, den Prozess von politischer Einflussnahme jeder Art freizustellen. Das ist der Grund, warum für Lambrecht der Verkehrsverein mit Hans-Joachim Hinrichs und Volker Edel (†) und für Deidesheim der Verein der Heimatfreunde Deidesheim und Umgebung e.V. mit Berthold Schnabel und Dr. Heinz Schmitt (†) in den immateriellen Ring gestiegen sind. Der mit dieser Forderung verbundenen Problematik, dass nämlich die gesetzten Antragsteller eher weniger mit stark formalisierten Verfahren wissenschaftlicher Natur zu tun haben, ist im Falle von Rheinland-Pfalz mit einer recht intensiven Betreuung durch die entsprechenden Sachbearbeiter des Kultusministeriums begegnet worden. Diese können auf formale Fehler hinweisen und andere Tipps geben, reagieren muss die Antragsseite. Auch werden die Antragsformulare weiterentwickelt, was fast zwangsläufig zu Fehlern führt, wenn man nicht die aktuellen Formulare verwendet. Wegen des insgesamt großen Volumens ist das keine Lappalie, sondern ein Grund, dass sonst gute Anträge durchfallen. Zumal dann, wenn gewährte Nachfristen nicht sinnvoll im Sinne der Antragslogik genutzt werden. Besonderes Gewicht wird auf den Umgang mit der Tradition in der jüngsten Zeit gelegt, in Deutschland gehört dazu auch eine Stellungnahme zur Phase des Dritten Reichs. Gerade Anträge zu irgendwie historischen Themen verlangen das kategorisch. An dieser Stelle empfiehlt es sich ganz dringend, Fachleute zu konsultieren.

Diese sind ohnehin nahe an der Forschung wie an den Themen, ihnen sind Formalia kein Hindernis, weil sie oft mit solchen zu tun haben und sie können in aller Regel die Antragslyrik verfassen, die zu den Fragefeldern verlangt wird oder doch die vorhandenen Texte beurteilen. Selbst wenn dadurch Kosten entstehen sollten, wäre das im Endeffekt förderlich - vorausgesetzt, man hat die richtige Person gewählt.

Wenn Tiere mit betroffen sind, ist auch eine Stellungnahme zum Tierwohl erforderlich. Da das außer für die Theaterstücke mit dem Pappbock bei uns zutrifft, musste also auch eine solche her. Wir können froh sein, dass die vor allem im ausgehenden 19. Jh. stattgehabten Auswüchse, als der arme Bock an Pfingsten durch die Lambrechter Kneipen gezogen wurde, schon sehr lange und endgültig der Vergangenheit angehören.

Blickt man auf die Geißbock-Tradition, so stellt schon deren lange Dauer eine Herausforderung für sich dar, weil es im Laufe der Zeit zahlreiche, sehr vielgestaltige Wendungen gegeben hat, welche umfangreiche Forschungsliteratur erzeugt haben. Im Antrag sind nämlich für die einzelnen Abschnitte genau definierte Felder gesetzt, deren Umfang nicht überschritten werden darf. All diese Dinge weiß man jedoch von Anfang an, denn die Regeln des Verfahrens werden nicht mehr geändert, wenn es angelaufen ist.

Am 19. November marschiert der Geißbock - an diesem Tag immateriell und mit doppeltem Bürgerrecht ausgestattet - offiziell als viertes, spezifisch pfälzisches Element in die UNESCO-Liste. Sie steht dort neben dem 2016 als erster Eintrag unserer Heimat befindliche Hanselfingerhut-Spiel in Forst und neben der 2018 aufgenommenen Wiesenbewässerung in den Queichwiesen, sowie schließlich drittens neben der ihm sattsam bekannten, seit 2021 in gleicher Weise geadelten Pfälzerwaldhütten-Kultur, von denen der Geißbock-Weg auch welche tangiert. Wer meint, das habe alles zu lange gedauert sei getröstet: Wir sind besser als die Bayern, denn der Geißbock ist schon länger als Schloss Neuschwanstein in einer UNESCO-Liste enthalten.