Nachdem ich am 28. September hier angekommen bin, wohne ich nun beinahe zwei Monaten in Toulouse und komme aus dem Staunen nicht heraus.
Das Motto „träume nicht dein Leben sondern lebe deinen Traum“ habe ich wörtlich genommen, denn das, was ich hier erlebe, hatte ich mir in meinen schönsten Träumen nicht vorgestellt. Aber heißt das auch, dass ich jetzt angekommen bin?
Diese Stadt ist der absolute Wahnsinn: Es gibt jede Woche neue Festivals, Märkte und Events. Das kulturelle Angebot ist einfach unschlagbar. So gibt es Konzerte und Museen zu erschwinglichen Preisen, besonders für Menschen meines Alters. Wenn man am Wochenende mal raus aus der Stadt möchte, ist auch das kein Problem, denn ausgewählte Züge kosten hier genau einen Euro. Und ein Tagesausflug für zwei Euro lässt natürlich wenig Raum für Beschwerden. Generell ist der Eintritt in die Museen an jedem ersten Sonntag im Monat in ganz Frankreich kostenlos und seit neuestem gilt das 1€-Angebot der Bahn dann für alle Züge.
Zu dem Gefühl von „Zuhause“ haben auch die Menschen in Toulouse beigetragen. Ich habe mich von Anfang an Willkommen gefühlt. Alle sind offen und hilfsbereit. So bekommt man nach Konzerten, der Arbeit oder den Chorproben immer von irgendwem angeboten, mit an die nächste Metro-Station genommen zu werden.
Wo wir auch schon bei meinen Freizeitbeschäftigungen wären. Musikalisch kann ich mich nämlich nicht nur in dem Chor „Vox Populi“, der Lieder auf Französisch, Englisch, Italienisch und Latein singt, ausleben. Ich habe auch einen jungen Musiker kennengelernt, mit dem ich mich gerne zu einer Runde Geigen-Duette mit anschließender Improvisations-Einheit treffe. Da er sein Deutsch und ich mein Französisch verbessern möchte, profitieren wir nicht nur musikalisch, sondern auch kulturell voneinander.
Außerdem gibt es hier eine Gemeinde extra für Studenten, die für die Gottesdienste immer eine Gruppe an Musikern suchen. Hier habe ich mich auch einmal ausprobiert, aber da mir die Gottesdienste zu ernst waren, besuche ich nun eine evangelische Freikirche, in der man auch jede Woche viele junge Menschen treffen kann.
Mein nächstes Projekt wird die musikalische Gestaltung auf einem Weihnachtsmarkt in Pibrac. Dazu werde ich mit einer anderen Violinistin ein paar weihnachtliche Duette vorbereiten.
Mein Auslandsaufenthalt soll aber nicht nur zum Erleben dienen - er war auch als Selbstfindungs-Trip vorgesehen. Ich habe begonnen, die Bibel und Gedichte zu lesen, diese auch selbst zu schreiben und führe weiterhin Tagebuch zur Selbstreflexion.
Natürlich ist auch nicht immer alles perfekt und Zuhause rückt hin wieder in melancholische Erinnerung. Dann hilft es mir, dessen einfach bewusst zu werden und vor allem darüber mit meiner Familie und meinen Freunden zu sprechen. Über diese und andere Erfahrungen kann ich mich auch gut mit den anderen Freiwilligen der BIQ-Berlin austauschen.
Nun stelle ich mir erneut die Frage, ob ich jetzt am Ziel meiner Reise angekommen bin und meinen Traum erfüllt habe. Das zu beantworten, ist gar nicht so einfach. Ja, ich liebe es hier und bin für jeden einzelnen Tag dankbar - habe also meinen Traum erfüllt! Aber ich Reise nicht, um anzukommen, sondern um die Reise zu leben. Nach jedem erfüllten Traum folgt der nächste, wie ich vom „Alchimisten“ von Paulo Coelho gelernt habe. Ich habe eine weitere Etappe auf meinem Weg erreicht; jetzt befinde ich mich hier und genieße die Zeit. Es werden noch viele Etappen folgen und dorthin, wo es mir gefallen hat, kehre ich zurück!
Das will ich nun erst einmal so stehen lassen und schicke ganz liebe Grüße aus Toulouse ans schöne Lambrechter Tal!
Bis bald, Ihre Jessica