Weihnachtsmeditation
von Kirchenrat Frank-M. Hofmann, der in Lambrecht aufgewuchs und Mitarbeiter der TALPOST war.
Liebe Leserinnen und Leser der TALPOST!
Dieser Satz ist die zweite Strophe des Kirchenliedes "Die güldene Sonne voll Freud und Wonne“ (Evangelisches Gesangbuch, Nummer 449).
Er drückt aus, dass das Auge die Werke Gottes zur Ehre Gottes und zur Lehre des Menschen betrachtet. Er soll die Macht und Größe Gottes aufzeigen. Wir Menschen schauen mit unseren Augen auf das, was Gott uns in Jesus vorgelebt und gelehrt hat. Wir erblicken Seine wunderbaren Werke in der Schöpfung, der Erschaffung der Natur, unserer Mit-Welt. Wenn wir auf Gott schauen, so ist das ein Respons darauf, dass Gott uns zuvor angesehen hat und er ein Auge auf uns hat, er an unserem Wohlergehen interessiert ist, aber manchmal auch uns zurechtweist, wenn wir uns gegen Ihn und seine Schöpfung und die Menschlichkeit, die er damit in unsere Welt eingepflanzt hat, richten. Schauen wir also darauf, wie Gott uns sieht, so begegnet uns die Darstellung des Auges Gottes in vielen Kirchen an der höchsten Stelle der Kirchen, an Kuppeln und Decken. Es gibt eine Vielzahl von biblischen Aussagen über Gottes Wesen und Wirken, die in der Barockzeit populär in dem abgebildeten „Auge Gottes“ (oft im Dreieck) zusammengefasst und abgebildet werden.
Eine solche künstlerisch hochwertig gestaltete Darstellung des “Auges Gottes“ finden wir an der Decke der barocken Ludwigskirche am Ludwigsplatz in Saarbrücken, deren 250-jähriges Jubiläum wir dieses Jahr gefeiert haben. Die Ludwigskirche ist wie keine andere Kirche des Saarlandes Symbol für dieses Land, gemeinsam mit dem barocken Place-Royale, dem Ludwigsplatz, und dem Ensemble der ihn umgebenden Palais, darunter auch das des Sitzes des Evangelischen Büros im Haus der Ev. Kirchengemeinde Saarbrücken-Mitte mit Nummer 11. Fürst Wilhelm Heinrich hat seine Ideen durch den Architekten Friedrich Joachim Stengel meisterhaft umgesetzt, Schmuckstück und Erkennungssymbol des Saarlands und vielbeachteteund -besuchte Touristenattraktion. Stengel schuf eine Kirche, die trotz ihrer barocken Pracht einen, schlichten, weißen Innenraum hat, der durch Licht und klare theologische Symbole wirkt. Das Auge Gottes ist das zentrale Element, das den gesamten Raum mit einer spirituellen Präsenz füllt und die Gläubigen an Gottes ewige Wachsamkeit erinnert.
Die Ludwigskirche ist ein Ort des Gebetes, der Verkündigung in Wort und Sakrament und der „seelischen Erhebung“ wie es so schön im Gesetz zum Sonntagsschutz benannt ist. Gott hat ein Auge auf uns und sieht uns Menschen, mit all unseren Sorgen und Fragen, mit unseren Hoffnungen und Freuden. Gesehen zu werden, das ist jedem einzelnen Menschen wichtig, dass er von Gott wahrgenommen wird und keine und keiner durchs Netz fallen. Die direkte Beziehung des Einzelnen zu Gott -darauf legten die protestantischen Kirchen im Barock Wert in theologischer Klarheit und verzichteten auf die reiche Ausgestaltung mit Heiligenfiguren. Sie wollten sich auf das Wesentliche konzentrieren: Die Erfüllung der göttlichen Vorsehung. Weihnachten feiert die Geburt Jesu Christi, die als die Erfüllung göttlicher Prophezeiungen und als zentraler Akt in Gottes Heilsplan gesehen wird.
Dafür steht das Auge Gottes am architektonisch höchsten Punkt der Ludwigskirche, zugleich dem Höhepunkt des zurückgenommenen Bildprogramms, über dem Altar-Kanzel-Orgel-Prospekt thronend: Allsehendes Auge. Gott sieht das Gute, aber auch das Böse, das geschieht. Er ruht über dem allem und ist wachsam, unser Gott „schläft und schlummert nicht“ (Psalm 121,4). Es drückt aus, dass Gott als ständiger Beschützer und Hüter seiner Schöpfung niemals müde wird und seine Augen niemals von der Menschheit abwendet. Sein Auge steht für seinen Schutz und seine Fürsorge, seine Lenkung der Welt und der Menschen. In unsrem Tun und Lassen sind wir Ihm gegenüber verantwortlich. Es steht für die Aufmerksamkeit gegenüber der Menschheit. An Weihnachten wird diese göttliche Aufmerksamkeit konkret: Gott schaut nicht nur aus der Ferne zu, sondern er greift aktiv in die Welt ein und wird Mensch in Jesus, um den Menschen nahe zu sein und sie zu erlösen - von ihrer Schuld, die sie auf sich geladen haben und von ihrer Bosheit und ihrem Egoismus, die allenthalben wieder in unserer Gesellschaft zu finden sind.
Das ist auch der tiefere Grund, dass beide Kirchen Büros an den Landeshauptstädten wie Mainz und Saarbrücken unterhalten: Sie zeigen damit, dass ihnen diese von Gott in Jesus Christus aufgetragene Weltverantwortung nicht gleichgültig ist, sondern sie sich in diese Welt hineingestellt wissen und Mitverantwortung übernehmen: Für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, den Erhalt unserer Demokratie und Rechtstaatlichkeit, für die soziale Absicherung gerade auch der armen Menschen in unserer Gesellschaft. Gesellschaftliche Teilhabe soll auch ihnen ermöglicht werden. Bildungsgerechtigkeit muss hergestellt werden. Eine bessere Welt ist möglich und muss angestrebt werden- so viele Rückschläge es auch zwischendurch geben mag. Wir dürfen nicht aufgeben, uns der Blickrichtung Gottes anzuschließen und es ihm gleich zu tun. Der Blick geht nach unten, mitten in die politischen und sozialen Diskussionen und Konflikte unserer Gegenwart, derer wir uns als aufrechte Christenmenschen nicht begeben dürfen.
Sich stets für eine „bessere Gerechtigkeit“ einzusetzen, wie es der Evangelist Matthäus gesagt hat, war und ist auch Anliegen derer, die in den Kirchen arbeiten. Meliorismus hat dies der jüdische Theologe Pinchas Lapide einmal genannt: Immer an einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse arbeiten und fortschrittlich, auf die Lebensbedingungen künftiger Generationen bedacht denken. Orientiert habe ich selbst mich stets an dem Wort von Karl Barth, das er 1938 formuliert hat: „Eine Kirche, die aus lauter Angst, nur ja nicht in den Schein zu kommen, Partei zu ergreifen, nie und nimmer Partei zu sein sich getraut, sehe wohl zu, ob sie sich nicht notwendig kompromittiere: mit dem Teufel nämlich, der keinen lieberen Bundesgenossen kennt als eine um ihren guten Ruf und sauberen Mantel ewig schweigende, ewig meditierende, ewig neutrale Kirche: eine Kirche, die allzu bekümmert um die, die doch wirklich nicht so leicht zu bedrohende Transzendenz des Reiches Gottes - zum stummen Hunde geworden ist.“
Der Blick Gottes richtet sich in Jesus in Krippe und am Kreuz nach unten. „Meine Augen sehen nach den Treuen im Lande“ (Psalm 101,6) - „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden“ (Seligpreisungen Matthäus 5,6).
Das Auge ist in ein Dreieck eingebettet und symbolisiert Vater, Sohn und Heiligen Geist, als Zeichen der Dreifaltigkeit. Strahlen gehen von diesem Dreieck aus und symbolisieren die göttliche Herrlichkeit und Gegenwart
„Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht und wir sind eins durch ihn“, lautet die erste Strophe des gleichnamigen Liedes im EG Nr.268.
Die Weihnachtszeit fällt in die dunkelste Jahreszeit und ist stark mit Symbolen des Lichts verbunden. Das „Auge Gottes“ ist umgeben von Lichtstrahlen, ist Quelle dieses Lichtes der Hoffnung, das mit der Geburt Jesu Christi in die Welt gekommen ist. Weihnachten zeigt, dass das Licht, die Allgegenwart Gottes mit dem Stern von Bethlehem auch in die dunkelsten, schmutzigsten und unwürdigsten Orte (wie einem Tierstall) einschließt. Der unendliche, allmächtige Gott, dessen Auge über dem Universum thront, ist gleichzeitig ganz klein, hilflos und anwesend in einem Futtertrog. Gezeigt wird damit die Demut und die Nähe Gottes zu den Menschen. Dankbar können wir unsere „Responsibilität“ zeigen und weitersingen mit dem Lied EG Nr. 449 wie „Abend und Morgen sind seine Sorgen; segnen und mehren, Unglück verwehren sind seine Werke und Taten allein. Wenn wir uns legen, so ist er zugegen; wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen über uns seiner Barmherzigkeit Schein“ (Strophe 4).
Die Geburt Jesu ist die Vollendung des einen PIanes für die Erlösung der Menschheit, symbolisiert im „Auge der Vorsehung“. Jahrelang „schaute“ Gott auf das Elend der Welt. In Bethlehem greift er durch die Geburt Jesu Christi aktiv ein. Die Geburt Jesu ist der Moment, in dem Gottes “Auge“ sichtbar wird und seine Liebe und sein Wesen für die Menschen erfahrbar werden.
In Bethlehem tritt Gott als hilfloses Kind auf. Der „Blick Gottes“ wird zu einem Blick voller unschuldiger, bedingungsloser Liebe zu uns Menschen. Dies betont Gottes Gnade und Barmherzigkeit, die über dem Gericht stehen, das wir verdient hätten.
Das Symbol des Auges Gottes ist die ewige Wahrheit über Gottes Wesen. Bethlehem ist die konkrete Manifestation dieser Wahrheit in der Zeit, dem Ort, an dem derferne, allwissende Gott uns ganz nahekommt und Mensch wird.
Dass Sie diese Liebe Gottes immer wieder in ihrem Leben verspüren, das wünsche ich Ihnen von Herzen. Und dass Sie sich gut „angesehen“ und wahrgenommen fühlen dürfen - in großen wie in kleinen Lebensbezügen, in dienstlichen wie in privaten Zusammenhängen. Und dass Sie selbst in genügender Weise andere sehen, denen beistehen, die Ihren Zuspruch brauchen: Lachen Sie mit denen, die Grund zur Freude haben, und weinen Sie mit denen, die traurig sind und Trost und menschliche Nähe nötig haben.
In diesem Sinne grüße ich alle Leserinnen und Leser der TALPOST sehr herzlich.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr 2026.
Das neue Jahr wird auch geprägt sein von der Zusage des Wortes der Jahreslosung aus dem Buch der Offenbarung des Johannes „ Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu!“ (Offenbarung 21,5). Dieser Bibelvers spendet Hoffnung, Trost und Zuversicht in transitorischen Zeiten der Unsicherheit und des Umbruchs in Kirche und Gesellschaft - und ja, das haben wir nötiger denn je.
Bleiben Sie wohlbehalten und Gott anbefohlen
Ihr
Frank-Matthias Hofmann, Kirchenrat
Beauftragter der Evangelischen Kirchen für das Saarland