Zahlreiche Europa-Aktivisten waren zum 75. Jahrestag des Studentensturms an das Europa-Denkmal am Grenzübergang St. Germanshof gekommen.
Zu den Ehrengästen bei der Feier am Europa-Denkmal in St. Germanshof zählten auch (von links) der frühere Ministerpräsident Kurt Beck, der Dahner Verbandsbürgermeister Holger Zwick sowie Landrätin Dr. Susanne Ganster.
Vor 75 Jahren, am 6. August 1950, geschah am Grenzübergang St. Germanshof, ganz im Südosten des Landkreises Südwestpfalz gelegen, beinahe Unerhörtes: Rund 300 Studierende aus mehreren europäischen Ländern rissen dort die Schlagbäume nieder, verbrannten diese und proklamierten ihren Wunsch nach einem gemeinsamen Europa ohne Grenzen. Was lange Jahre in Vergessenheit geriet, gilt heute als eine der ersten relevanten Europa-Demonstrationen überhaupt. Und das nur fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es sollte noch 35 Jahre dauern, bis durch das Schengener Abkommen diese Forderung erfüllt wurde. Andere Forderungen, etwa nach einer europäischen Staatsbürgerschaft, liegen nach wie vor in weiter Ferne. Dennoch wurde der 75. Jahrestag des Studentensturms in dem zur Ortsgemeinde Bobenthal gehörenden Siedlung gebührend gefeiert: durch eine gemeinsame Tagung des Bundesverbandes der Jungen Europäischen Föderalist:innen (JEF) Deutschlands und ihres Partnerverbandes Jeunes Européens France im Waldrestaurant St. Germanshof und einen Festakt am 2007 eingeweihten Europa-Denkmal, das gegenüber des früheren deutschen Zollgebäudes an dem Ort entstand, wo 1950 die Schlagbäume brannten.
Das damalige Vorhaben war von langer Hand im Geheimen geplant. Nur wenige wussten Bescheid, aus Angst, dass die Polizei dagegen einschreiten könnte. In Heidelberg und Straßburg starteten Busse und zahlreiche Privatautos. Die internationale Presse war ebenfalls informiert – allerdings ohne den Ort zu erfahren. Die Busse starteten mit zeitlichem Abstand zueinander, um ja keinen Verdacht zu erregen. Kurz vor dem Ziel stieg man aus und näherte sich, als Wandergruppen oder sonntägliche Spaziergänger getarnt, dem Grenzübergang. Drei junge Frauen lenkten durch einen vorgetäuschten Ohnmachtsanfall die diensthabenden Zöllner ab. Urplötzlich wurden Sägen gezückt und die Schlagbäume kurzerhand zu Feuerholz zerschnitten. Am damit entzündeten „Europa-Feuer“ verlasen die Akteure ihre Proklamation „Europa ist Gegenwart“. Darin forderten sie unter anderem ein europäisches Parlament mit konkreten Befugnissen, eine europäische Regierung und eine europäische Staatsbürgerschaft.
In internationaler Presse gewürdigt
Weil auch das Datum bewusst gewählt war – tags darauf begann in Straßburg die Europakonferenz, an der erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg auch Vertreter aus Deutschland teilnehmen durften – schaffte die Aktion im Pfälzerwald den Sprung in die internationale Presse, geriet aber im Lauf der Jahre zunehmend in Vergessenheit. Bis im Jahr 2007 der Bobenthaler Pensionär Dr. Herbert Breiner, zuvor lange Jahre Leiter des in Frankenthal ansässigen und vom Bezirksverband Pfalz getragenen Pfalzinstituts für Hören und Kommunikation, sich dieses Kapitels europäischer Gründungsgeschichte annahm. Er suchte nach Zeitzeugen (und fand diese auch), trug Dokumente und Fotos zusammen und realisierte schließlich mit der von ihm gegründeten Verein Aktionsgemeinschaft Bobenthal-St. Germanshof e.V. und zahlreichen von ihm eingeworbenen Spenden am Ort des damaligen Geschehens das „Europa-Denkmal“: zwölf im Kreis angeordnete Sandsteinstelen, welche die Europafahne symbolisieren, mit einer stilisierten Feuerstelle zur Erinnerung an das damals entzündete „Europa-Feuer“ in ihrer Mitte. Das Ensemble von deutscher, französischer und europäischer Flagge sowie Schautafeln in drei Sprachen runden die Anlage ab.
Beim Festakt zum 75. Jahrestag des Studentensturms äußerten die deutschen und französischen JEF-Aktivistinnen und -Aktivisten vor allem die Befürchtung, dass durch die zunehmenden nationalstaatlichen Entwicklungen und – aktuell – die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen die Europa-Idee insgesamt in Gefahr sei. In ihrer gemeinsamen Erklärung zum Jahrestag betonten sie, dass die einzige Zukunft, die Frieden und Gerechtigkeit garantiere, eine föderale Zukunft in einem vereinten Europa sei.
Festgäste erinnern an das Erreichte
Die geladenen Festgäste, unter ihnen der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der frühere saarländische Umweltminister und langjährige Europaabgeordnete Jo Leinen (1977 - 1979 JEF-Bundesvorsitzender), Landrätin Dr. Susanne Ganster sowie der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Dahner Felsenland, Holger Zwick, betonten in ihren Ansprachen hingegen die positiven Errungenschaften eines gemeinsamen Europas in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Diese würden inzwischen häufig als selbstverständlich erachtet. Beck erinnerte beispielsweise, dass er als junger Bub in seiner ebenfalls direkt an der Grenze liegenden Heimatgemeinde Steinfeld (Kreis Südliche Weinstraße) von der französischen Gendarmerie für einen Nachmittag festgesetzt wurde, weil er unbedachterweise über die grüne Grenze nach Frankreich geradelt war, ohne seinen Kinderausweis dabei zu haben. Landrätin Dr. Ganster verwies auf die vielfältigen deutsch-französischen Kooperationen in der Region, die von gemeinsamen Wasserversorgungen über gemeinsame touristische Projekte bis hin zu regelmäßigen gemeinsamen Bürgermeisterstammtischen reichen. Verbandsbürgermeister Zwick versprach, die Erinnerung an das historische Ereignis in St. Germanshof zu wahren und weiter zu fördern.
Mehr Informationen zu den Ereignissen im Jahr 1950 und dem Europa-Denkmal im Internet unter https://europa-initiative-ev.eu.